Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
irren.« Als sie den Kopf schüttelte, fiel ihr das Haar über die Schulter, es hatte dieselbe Farbe wie die, die sie ihrem Sohn vererbt hatte.
»Erzählst du mir davon?«
»Es ist genau das, wofür es die Historikerin aus der Zufluchtsstätte hält – ein Zusammentreffen von Zeit und bestimmten entscheidenden Ereignissen, die einen Ausbruch von Macht im Kader entfachen. Einige gewinnen neue Kräfte, während andere mit neuen Fähigkeiten wiedergeboren werden. Es gibt keine Möglichkeit, das Ergebnis vorherzusehen; viele dieser Fähigkeiten werden im besten Fall unberechenbar sein und im schlimmsten Fall katastrophale Auswirkungen haben.«
»Mit dem Wissen, das wir jetzt haben, könnte der Kader diese Veränderungen erfolgreich überstehen.«
Calianes Gesichtsausdruck wirkte plötzlich sehr alt, so alt, dass Raphael beinahe glauben konnte, Lijuan habe recht und seine Mutter sei wirklich zweihundertfünfzigtausend Jahre alt. »Ja. Aber ich glaube, bei der letzten Kaskade bin ich zum ersten Mal mit dem Wahnsinn in Berührung gekommen – auch wenn ich es damals noch nicht wusste, weil er sich als heimtückischer Eindringling tief in mir verbarg. Gegen eine solche Veränderung kann man sich nicht schützen.«
27
Als Jason zum Palast zurückkehrte, saß Venom auf dem Balkon vor seinem Zimmer, hatte seine verspiegelte Sonnenbrille aufgesetzt und ließ die Beine baumeln. Zu seiner Linken stand eine dampfende Tasse Kaffee.
»Ich musste darum betteln«, sagte der Vampir, als er sah, in welche Richtung Jasons Blick ging. »Deine Prinzessin hält Kaffee für eine Beleidigung der Geschmacksknospen.« Er hob das Gesicht zum Himmel empor und nahm genüsslich das Sonnenlicht in sich auf. »Habe ich dir schon mal gesagt, dass ich Kälte hasse?«
»Jeden Winter.« Jason überreichte Venom die forensischen Berichte. »Was steckt dahinter?«
»Die Kraft eines Erzengels, zumindest annähernd … oder vielleicht eine bestimmte Gabe«, sagte Venom, dem Jason beigebracht hatte, auf solche Dinge zu achten. »Das gibt den Ereignissen eine ganz neue Richtung. Lijuan?«
»Sie könnte es getan haben und verschwunden sein, bevor wir ihre Anwesenheit bemerkt haben.« Der Erzengel von China verfügte über die Gabe, seinen Körper zu dematerialisieren; allerdings hatte der Kampf mit Raphael über Amanat gezeigt, dass Lijuan nicht so allmächtig war, wie sie es die anderen immer glauben machen wollte.
»Stimmt«, sagte Venom. »Aber sie stand immer in recht herzlicher Beziehung zu Neha. Und Eris auf diese Art umzubringen? Ich habe Lijuans krankhafte Taten gesehen, aber das hier war etwas Persönliches.«
»Ja.« Als er den Duft einer unbekannten Blume, vermischt mit hellen, kräftigen Gewürzen auffing, wandte er sich um und sah Mahiya aus ihrer Wohnung treten. Ein Teil von ihm wollte regungslos verharren und abwarten, ob sie die leidenschaftlichen Stunden, die sie vor dem Morgengrauen miteinander verbracht hatten, inzwischen bereute.
Ein Lächeln ließ ihre Augen aufleuchten. »Ich habe deine Stimme gehört.«
Es erforderte seine ganze Konzentration, sie nicht an sich zu ziehen und ihre Lippen mit seinen zu bedecken, um dieses Lächeln zu schmecken, das sich für ihn wie ein Kuss anfühlte. »Was hast du heute herausgefunden?«
Ehe Mahiya antworten konnte, kam Venom auf die Füße. »Lasst uns drinnen weiterreden.«
Es kam ihm ganz selbstverständlich vor, Mahiya in die kühle Gemütlichkeit ihrer Wohnräume zu folgen, wo auf dem niedrigen Tisch etwas zu essen angerichtet war. »Ich dachte, ihr hättet vielleicht Hunger, schließlich ist die Mittagessenszeit schon vorbei«, sagte sie. Jasons Aufmerksamkeit jedoch galt dem rosafarbenen Teddybär, der neben der Lampe saß.
»Ah.« Venom schloss die Türen, ehe er sagte: »Dazu habe ich eine Geschichte zu erzählen.«
Jason schwieg, während Venom die seltsame Geschichte weitergab. »Ein Vampir mit scharlachroten Haaren?«, fragte er Mahiya, nachdem diese ihre Entdeckungen hinzugefügt hatte. Über das Risiko, das sie wegen der Schachtel eingegangen war, würden sie sich unter vier Augen unterhalten.
»Ja.« In ihren Augen glomm ein Funke. »Leider konnte ich nicht in der Gegend herumfragen, ob ihn jemand gesehen hat – das hätte zu viel Aufsehen erregt.«
Jason sah Venom an.
Der Vampir nippte an seinem Kaffee und grinste ihn breit an. »Ja. Ich bin in die Stadt hinuntergegangen, um ein paar Erkundigungen einzuholen.« Den Rücken an die Wand gelehnt, fuhr er fort: »Es hört
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