Gildenhaus Thendara - 7
recht. Aber manchmal ist es eine schreckliche Versuchung, nur die unmittelbare Zukunft zu sehen und das zu tun, was im Augenblick menschlich zu sein scheint, statt so zu handeln, wie es für die ganze Menschheit über die Jahrhunderte hin am besten ist” Jaelle fragte ärgerlich: „Willst du damit sagen, daß du Menschen sterben lassen würdest, die du möglicherweise am Leben erhalten könntest?” „Ich würde es nicht tun, ach”, antwortete Marisela, „und das ist vielleicht der Grund, warum ich diese Macht so fürchte. Ich hungere nach all dem terranischen Wissen, damit ich nie mehr eine Frau sich
zu Tode bluten oder ein Neugeborenes vergeblich nach Atem ringen sehen muß. Ich hasse es, den Kampf mit der Dunklen Dame zu verlieren, die in dieser Stunde neben jeder Frau steht und mit mir um sie ringt. Aber wie ich sagte, mein Beruf ist es, Leben zu retten, wo ich kann, und letzten Endes werde ich mich wohl daran halten, weiter Leben zu retten. Die Dunkle Dame ist eine sehr alte und freundliche Widersacherin, und sie kann für die Ihren sorgen”
Cholayna musterte sie voller Interesse. „Das ist ein Gesichtspunkt, der im Hauptzentrum oft diskutiert wird. Ich hatte nicht erwartet, ihn in diesem Haus vertreten zu hören…”
„Von einer eingeborenen Hebamme - oder würdet Ihr mich eine Hexendoktorin oder Zauberin nennen?” fragte Marisela, und sie lächelten einander in der freundschaftlichsten Art zu.
Jaelle machte es nervös, daß das Gespräch sich auf komplizierte Fragen der Ethik ausdehnte, und sie sah mit Erleichterung, daß Cholayna sich erhob, um zu gehen. Cholayna sagte: „Bleiben Sie, solange Sie möchten, Jaelle. Sie haben sich einen Urlaubstag wahrlich verdient” Doch Jaelle holte ihren Mantel und erklärte den älteren Frauen, auf sie warte Arbeit. Bestimmt würde sie in Montys Büro irgendwelche Arbeit finden, denn er und Aleki hatten viel Unerledigtes zurückgelassen, als sie wegritten, sich den Waldbrand anzusehen.
In dieser Nacht konnte sie nicht einschlafen. Die Wohnung schien ihr in Peters Abwesenheit viel zu groß für sie zu sein. Das Gildenhaus kam ihr jetzt ebenso unfreundlich wie die terranische Zone vor. Und ihr Hauptanliegen für ihren Besuch dort hatte sie nicht befriedigen können. Sie hatte Magda sprechen wollen, und Magda war bei der Brandbekämpfung gewesen, und Marisela und Mutter Lauria, so freundlich sie waren, verstanden ihre Probleme nicht ganz. Man konnte es auch nicht von ihnen verlangen.
Sie hatte sich so danach gesehnt, Magda zu sehen und von neuem Freundschaft mit ihr zu schließen. Ob es wohl besser war, so zu tun, als sei nichts geschehen, oder auf einer offenen Aussprache zu beharren? Vielleicht hatte es gar nichts zu bedeuten. Schließlich stand Magda unter schrecklichem Druck, zu den Problemen des Hausjahres waren die Feindseligkeit wegen des unseligen Kampfes und der Geldbuße, die Furcht, aus dem Gildenhaus weggeschickt zu werden, und die endlosen Alpträume gekommen… War es da ein Wunder, wenn Magda keine zusätzliche Kraft mehr hatte, um sich mit Jaelles Schwierigkeiten zu befassen?
Doch es war mehr als das. Jaelle suchte in ihrem Gedächtnis und fand nur ein verworrenes Bild von sich selbst, wie sie Kyrils Hand von ihrem Arm pflückte, als sei sie ein krabbelndes Insekt, voll Abscheu vor dieser unerwünschten Intimität. Ja, und vor dem Abendessen, als sie Magda umarmt und geküßt hatte, war Magda verlegen zurückgetreten. Es denken sowieso schon alle, ich sei deine Liebhaberin. Darüber müßten wir reden; zwischen Eidesschwestern darf es keine solche Barriere geben. Im Gildenhaus wurde Liebe zwischen Frauen als etwas ganz Natürliches betrachtet, aber Jaelle hatte nach den üblichen Experimenten Heranwachsender niemals daran gedacht. In der ersten Zeit ihrer Zusammenarbeit mit Rafaella waren sie Liebende gewesen, aber das war ihr nur wie ein Weg vorgekommen, tiefe Freundschaft zu zementieren, und Rafaella interessierte sich im Herzen weit mehr für Männer. Nach ein paar Wochen war das Gefühl zu Zuneigung abgeflaut, war in Wahrheit nie mehr gewesen. Sie hatte es als Teil ihrer Verbundenheit akzeptiert, hatte gemeint, das wurde ihr jetzt erst klar, auch sie und Magda hätten diese Geste des Vertrauens, der Liebe und der Offenheit füreinander austauschen sollen. Aber bei Magdas Volk war das nicht Brauch, wie es das zum Beispiel auch bei den cristoferos nicht war. Warum fühlte sie sich so verschmäht? Hatte sie Angst, Magda werde dazu kommen, sie zu
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