Gildenhaus Thendara - 7
würdest du uns und deinen eigenen Leuten zwei verschiedene Geschichten erzählen wollen. Das hast du aber gar nicht gemeint, nicht wahr?” Auf Jaelles heftiges Kopfschütteln hin nickte sie. „Das hatte ich auch nicht angenommen. Du machst auf mich einen ehrlichen Eindruck, und Magda hat so nett von dir gesprochen; du kannst nicht so doppelzüngig sein. Ich will dir was sagen. Sprich in den Schreiber, als berichtetest du einer der Ältesten von eurer Gilde
- wie nennt ihr sie?”
„Gildenmütter?”
„Das meine ich. Willst du es versuchen?”
Sie steckte das Kehlkopfmikrophon mit seinem schwarzen, schlangenähnlichen Anhängsel an das Kragenband von Jaelles Jacke. „Das ist ein weiterer guter Grund, Uniform zu tragen. Die Standard-Uniform für deinen Sektor hat im Kragenband eine Tasche für das SchreiberMikrophon, und du kannst es einfach hineinschieben, statt mühsam mit einem Clip herumzuhantieren” Sie zeigte es an ihrer eigenen Uniformjacke. Jaelle grauste es etwas davor, an eine Maschine angeschlossen zu werden, aber sie sagte sich, wahrscheinlich werde sie sich daran gewöhnen. Es war nicht gefährlich, und sie war nicht die Barbarin, für die man sie zu halten schien. An ihr lag es jetzt, nicht wie ein Fisch auf einem Baum in Panik zu geraten!
„Du brauchst nur leise hineinzusprechen, eigentlich nur zu subvokalisieren. Ich werde mich nicht neben dich stellen, das würde dich nur nervös machen, aber ich bin gleich da drüben an meinem Schreibtisch, falls du mich für irgend etwas brauchst!” Damit ging Bethany. Jaelle saß still da und versuchte zu entscheiden, was sie als erstes tun sollte. Sie sagte halblaut: „Mir ist immer noch nicht klar, wie ich mit diesem Ding umgehen muß.. ” und hörte das leise Summen und Rattern. Leuchtbuchstaben schwammen über den Schirm, und sie sah in den ihr noch nicht recht vertrauten Buchstaben der Standardsprache ihre Worte auf Casta: „Mir ist immer noch nicht klar…”
Bekümmert drückte sie die Löschtaste. Die Buchstaben lösten sich in Lichtblitze auf, wie ihr Pappbecher und ihr Essensteller ins Nichts verschwunden waren. Ist hier gar nichts dauerhaft? fragte sie sich. Aber Bethany hatte davon gesprochen, daß ihr Bericht für alle Zeiten zugänglich sein würde. Das war ein ernüchternder Gedanke.
Langsam sagte Jaelle: „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.. ” Die Maschine summte wieder los, und die Worte leuchteten auf. Diesmal beunruhigte es sie nicht mehr. Wie oft hatte sie mit genau diesen Worten begonnen, Kindra oder einer der Gildenmütter über eine mit oder ohne Erfolg abgeschlossene Mission zu erzählen! Als sitze sie in dem großen Versammlungsraum des Gildenhauses von Thendara, wo die Gildenmütter und ihre Schwestern darauf warteten, daß de berichtete, was sie getan hatte, begann sie auf gesammelte, formelle Art:
„An einem Abend etwa zehn Tage vor Mittwinter reiste ich nordwärts zum Nevarsin-Kloster. Bei mir war eine Gruppe von Comhii-Letzii, die mich, Jaelle n’ha Melora, zur Anführerin gewählt hatten. Gwennis n’ha Liriel, Sherna n’ha Lia und Devra n’ha Rayna sollten unsere drei Schwestern ablösen, die in Nevarsin Aufzeichnungen kopierten. Dazu kam Camilla n’ha Kyria, meine Eidesschwester, als Eskorte und Kämpferin. Vor einem schweren Sturm suchten wir Zuflucht in einer Reiseunterkunft, die eine halbe Tagesreise nördlich vom Andalune-Paß liegt. Wir fanden dort eine Gruppe fremder Männer vor, etwa zwölf an der Zahl, aber im Vertrauen auf die traditionelle Neutralität der Reiseunterkünfte grüßten wir sie höflich und lagerten am anderen Ende des Gebäudes. Kurz nach Dunkelwerden trat eine allem reisende Frau ein. Sie trug die Tracht einer Entsagenden, stellte sich als Mitglied des Temora-Gildenhauses vor und wurde an unserm Feuer willkommen geheißen. Wie ich später erfuhr, war diese Frau Magdalen Lorne…” Sie kämpfte mit Magdas terranischem Namen und war sich ganz sicher, daß das, was auf dem Bildschirm erschien, nicht nach Magdas Namen in terranischen Buchstaben aussah. Sie mußte ihn so falsch ausgesprochen haben, daß die Maschine ihn nicht verstanden hatte und auf eine phonetische Umschreibung ausgewichen war. Jaelle schlug auf die Löschtaste, biß sich auf die Unterlippe, rief Bethany und fragte nach der richtigen Schreibweise.
Zu ihrer großen Erleichterung fand Bethany gar nichts dabei und gab ihr nicht das Gefühl, eine schrecklich dumme Frage gestellt zu haben. Sachlich buchstabierte sie den
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