Gildenhaus Thendara - 7
bist frei, frei… Oh, Jaelle, komm und küß mich… Und eine Flut von Schmerz und Schwäche und dann nichts mehr. Nichts. Nichts. Ihre Mutter war nirgendwo auf der Welt, war ein lebloser Körper, der ausgeblutet im Sand lag. Blut färbte den Sand rot, wie die aufgehende Sonne die Felsen färbte…
Und auch hier war nichts, war Leere, wo vorher Peters Geist gewesen war. Er lag vor ihr - leblos? Leblos? Also hatte sie ihn getötet? Sie konnte nicht sehen, ob er atmete, beugte sich nieder, zog ihre Hand entsetzt zurück. Sie mußte einen Arzt rufen…
Und alle werden sagen, ich hätte ihn ermordet.
Die eisige Kälte des Schocks überflutete sie. Es gab nichts mehr, was sie für Peter tun konnte, und falls sie den Rest ihrer Schwangerschaft nicht in der Medizinischen Abteilung verbringen wollte, ihrer eigenen Sicherheit und der Sicherheit ihres Kindes wegen eingesperrt - möglich, daß sie nicht einmal eine Mörderin hart behandelten, wenn sie schwanger war, aber sie würden bestimmt nicht auf ihre Erklärung hören, daß es nichts als ein Unfall gewesen war.
Sie mußte gehen. Sie mußte sofort gehen, bevor man sie festhalten konnte. Er würde vor dem nächsten Morgen nicht entdeckt werden, wenn irgendwem auffiel, daß er sich nicht zum Dienst gemeldet hatte. Die Terraner waren ja alle von dem Gedanken an Uhren und Pünktlichkeit besessen, vor allem an die Pünktlichkeit bei der Arbeit. Vielleicht nahm man aber auch einfach an, er habe einen Tag Urlaub genommen und sei bei seiner schwangeren Frau geblieben, und wenn er nicht in der Cafeteria auftauchte, ließ sich das leicht damit erklären, daß die beiden in ihrer Wohnung eine private Mahlzeit einnahmen.
Entschlossen schulterte sie ihre Satteltaschen. Sie konnte das HQ verlassen; die Wachposten hatten keine Instruktion, sie aufzuhalten. Also würde die Raumpolizei sie durchlassen. Und dann ins Gilden
haus, um ihr Pferd zu holen. Vielleicht Magda - nein, Magda war noch in ihrem Hausjahr. Ich darf Margali nicht in Versuchung bringen, ihren Eid zu brechen, so wie ich meinen gebrochen habe.
Danach das Stadttor und die Straße nach Armida, Galopp, damit sie Aleki einholte, bevor der Sturm losbrach. Sie verbannte jeden Gedanken an die Länge des Weges. Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt. Und der erste Schritt führte sie in den Korridor. Sie zögerte, lauschte mit ihrem Geist nach einem Zeichen von Peters Anwesenheit, irgendeinem Zeichen, daß er vielleicht noch lebte…Nein, nichts. Sie mußte gehen, sofort.
Sie mußte ihr Pferd und Lebensmittel aus dem Gildenhaus holen. Aber Magda durfte sie nicht mit hineinziehen.
Sie schloß die Wohnungstür und knallte in ihrem Geist eine andere Tür hinter der Erinnerung an Peter, ihre Liebe und ihr Versagen zu. Nun hatte es mit Mord geendet. Aber sie konnte immer noch eines tun. Wenn sie Aleki das Leben rettete, gab sie den Terranern ein Leben für ein Leben. Auf leisen Sohlen verließ sie das Gebäude, überquerte den großen Platz, zeigte dem Raumpolizisten am Tor zum letzten Mal ihre Identifikationsplakette. Sie lief durch dunkel werdende Straßen und einzelne Böen, und die Wetterkenntnis eines ganzen Lebens sagte ihr, daß sie es, wenn sie sich beeilte, noch vor dem Sturm schaffen würde.
5. Kapitel
Der Regen begann zu fallen. Er war vermischt mit Schneematsch, aber wärmer als der Regen in den meisten Nächten. Schließlich war es erst einen Tag nach Mittsommer, dachte Magda, und es war noch nicht dunkel, obwohl die Sonne sich bereits hinter den brodelnden Wolken im Westen versteckte. Sie zog sich die Kapuze ihres dicken Reitmantels über den Kopf. Der versteifte Rand sorgte dafür, daß ihr das Wasser nic ht in die Augen lief. Ihr Pferd warf den Kopf von einer Seite zur anderen, gegen diesen Ritt im Regen protestierend. Offenbar machte es sich Sorgen, daß es die Nacht nicht in dem warmen Gildenhaus-Stall verbringen werde, aber Magda trieb es weiter in den Regen hinein.
Zwei Stunden nördlich der Stadt hielt sie an und überlegte. Es führte eine Vielzahl von Wegen in die Kilghardberge, und vielleicht - vielleicht auch nicht - hatte Jaelle die guten Karten gesehen, die nach Luftaufnahmen angefertigt worden waren. Wer nach Armida reiste, nahm meistens die Große Nordstraße bis Hali, wandte sich dann im Süden der zerstörten Stadt nach Westen und folgte dem Ufer des Sees auf der Straße nach Neskaya bis Edelweiß. Von da ging es nach Südosten auf den Einschnitt in den Bergen zu, wo das
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