Gildenhaus Thendara - 7
gerettet, und so sehr Peter sie geärgert hatte, den Tod wünschte sie ihm nicht. Sie selbst war dadurch ins Gildenhaus gekommen, das ebenfalls ein so unausweichlicher Bestandteil ihres Schicksals war, daß sie sich ein Leben ohne den Hintergrund des Eides nicht mehr vorzustellen vermochte.
Auch wenn sie in diesem Augenblick den geleisteten Eid hinter sich ließ… Nein. Es bestand kein Anlaß, sich mit Skrupeln zu quälen. Sie hatte Camillas Erlaubnis zu gehen, die Erlaubnis einer Gildenmutter des Hauses. Magda hielt ihr Pferd an, betrachtete im verblassenden grauen Licht die Kreuzung und versuchte, mit Hilfe der eidetischen Merktechniken des terranischen Nachrichtendienstes vor ihrem geistigen Auge das Bild der Landkarte mit den Wegen, die in die Kilghardberge führten, heraufzubeschwören. Vor ihr lag eine dreifache Gabelung: Die Große Nordstraße, die nordwärts an Hali vorbeiführte und später nach Armida abbog, die schmale Straße, auf der man über den Dämmerungspaß im Westen die Venzaberge erreichte (die wenigstens konnte sie von vornherein ausschließen), und den direkt in die Kilghardberge führenden Weg. Er war eng und steil, er drehte und wand sich die Hänge verschiedener Berge entlang, die für jeden Nicht-Darkovaner Bergriesen gewesen wären. Kein vernünftiger Mensch, der das Terrain kannte, würde auf diesem Weg nach Armida reiten. Aber jemand, der nur die flache Karte gesehen hatte, mochte ihn für eine Abkürzung halten, denn er stellte die Hypothenuse des rechten Winkels dar, den die Große Nordstraße und die von Hali kommende Straße bildeten. Und Alessandro Li hatte, soviel Magda wußte, den größten Teil seines Lebens auf zivilisierten Planeten verbracht und glaubte wahrscheinlich, eine auf einer Landkarte eingezeichnete Straße sei das, was er eine Straße nannte, ein mit einem Belag versehenes Artefakt. Wenn Jaelle nur beabsichtigte, Armida vor ihm zu erreichen, hatte sie bestimmt die längere, bessere und schneller ans Ziel führende Route genommen. Doch Jaelle ging es darum, Li zu beschützen, der keine Ahnung von den Gefahren Darkovers hatte.
Im Geist zählte Magda die Gefahren auf. Hagel und Schnee, in diesen Breiten sogar mitten im Sommer. Banshees nicht, außer er verirrte sich und geriet auf einen der hohen Pässe oberhalb der Baumgrenze. Aber auch das war nicht unvorstellbar. Und da war die ständige Gefahr, daß die Harzbäume in Brand gerieten. Li konnte
sie selbst anstecken, falls er nicht außerordentlich vorsichtig mit dem Lagerfeuer und dem Kochen des Essens war. Und wenn er unter einer Straße das Gleiche verstand wie die meisten Leute aus dem Imperium nach ihren Erfahrungen auf zahmeren Welten, war es auch möglich, daß er vom Weg abkam und sich in einem Land, das für das Auge eines Ungeübten eine weg- und steglose Wildnis war, hoffnungslos verlief.
Jetzt wäre es wirklich eine Hilfe, parapsychisch begabt zusein und zu wissen, welchen Weg Li und welchen nach ihm Jaelle eingeschlagen hat! Hat sie überhaupt gewußt, auf welchem Weg er reitet, oder nur geraten? Jaelle betont ständig, daß sie sich auf ihr Laran nicht verlassen kann, daß sie es haßt und ihm mißtraut.
Also muß ich mich in sie hineinversetzen und mir vorstellen, wie ihr Verstand arbeitete, als sie ihre Entscheidung fällte.
Magda fürchtete sich vor dem gefährlichen Weg durch die Berge. Doch noch während sie sich einreden wollte, Li sei sicher kein Risiko eingegangen und habe sich an die häufiger benutzte Straße gehalten, entstand ein Bild vor ihren Augen. Jaelle ritt auf ihrem zottigen kleinen Bergpony, den Kopf in der karierten Kapuze gesenkt, einen gefährlichen Sims entlang, von dem aus man in ein beschattetes Tal sah.
Eine Halluzination? Oder das Aufblitzen einer echten außersinnlichen Wahrnehmung? Magda wußte es nicht. Das Bild war verschwunden, und so sehr sie sich auch anstrengte, sie brachte es nicht zurück. Sie mußte so oder so raten, auf welchem Weg sie Jaelle einholen würde, also konnte sie auch ihrer Eingebung folgen. Das hatte sie früher schon öfters getan und es nie bereut. Zögernd versuchte sie noch einmal, auf diese seltsame Art zu sehen. Sie schickte ihre Gedanken auf der besser ausgebauten Großen Nordstraße voraus und suchte ein Bild von Jaelle, die Alessandro Li nacheilte. Doch von neuem sah sie den Bergpfad an dem steilen Hang. Seufzend zog sie am Zügel und lenkte ihr Pferd von der Hauptstraße auf die Abzweigung. Der Weg war anfangs nur ein bißchen schmaler und
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