Gildenhaus Thendara
verzeihen”, murmelte Magda. Langsam nahm die Welt wieder normale Umrisse an, aber zurück blieb das Gefühl, nur ein hauchdünner Schleier schütze sie vor diesem unerträglichen Offensein gegenüber jedem und allem.
„Du hast keine Ausbildung”, fuhr Camilla fort, „und ich mußte als Mädchen, nachdem…” Nicht fähig, es auszusprechen, machte sie eine Handbewegung, und Magda wußte, was sie hatte sagen wollen: Nach der grauenhaften Erfahrung, von der Camilla ein einziges Mal gesprochen und die sie eben in ihren Gedanken gelesen hatte… Wie kann sie mit solchen Erinnerungen leben?
„Meine Familie hat es nie über sich gebracht, mir zu verzeihen”, sagte Camilla ruhig. „Ich mußte es lernen oder sterben. Aber genug davon, Liebes. Gehen wir jetzt zu Mutter Lauria hinunter. Margali, ist dir nicht gut?”
„Doch, doch”, antwortete Magda schwach. Wieder einmal wünschte sie sich verzweifelt, sich auf die Kraft der Älteren zu stützen. Sie ertrug es nicht, was da mit ihr geschah, und trotz allem, was Camilla gesagt hatte, war sie nicht bereit, zuzugeben, daß es geschah.
Schon auf der Treppe hörten sie aufgeregte Stimmen an der Tür und beschwichtigende Worte von Marisela.
»Ja, ja, ich verstehe, meine Kleinen - nein, ehrlich, eure Mama
wird nicht sterben, sie wird euch ein Brüderchen oder Schwesterchen schenken, das ist alles. Ja, bestimmt, ich werde mich beeilen. Irmelin, bringe unsere kleinen Freundinnen in die Küche und gib ihnen Brot mit Honig - bei ihnen zu Hause ging es heute morgen so drunter und drüber, daß sie kein Frühstück bekommen haben - nicht wahr, Mädchen? Jetzt könnt ihr euch einmal die Küche des Gildenhauses ansehen, das möchtet ihr doch gern, stimmt’s?” Lachend wies sie auf die Frauen, die die Treppe hinunterkamen. Dann begegnete ihr Blick dem Magdas, und ihr Gesichtsausdruck änderte sich so plötzlich, als habe man sie geschlagen. „Oh, Göttin, ich wußte nicht - Margali, ich weiß, ich muß mit dir sprechen, und doch…” Verzweifelt preßte sie die Hände an die Schläfen. „Ich muß mich beeilen, die Frau ist in Gefahr, auch wenn ich den kleinen Mädchen etwas anderes gesagt habe. Es ist ihr fünftes Kind, und mir bleibt nicht viel Zeit” Schnell trat sie zu Magda, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr in die Augen. Magda dachte: Sie weiß, was mit mir los ist. Aber das ist nicht möglich.
„Versprich mir, kleine Schwester, daß du nichts Voreiliges tust, bevor du und ich uns wie Schwestern haben zusammensetzen und in aller Ruhe unterhalten können, wie wir bisher noch nie Gelegenheit gefunden haben es ist meine Schuld, ich hätte es besser wissen müssen, aber versprich es mir, Margali - ich muß jetzt gehen und mein Köfferchen holen. Aber halt, brauchst du mich wirklich so nötig? Die Pflicht gegenüber einer Schwester kommt zuerst. Soll ich Keitha zu der Geburt schicken und bei dir bleiben, breda?”
Doch schon ging die Überladung an verwirrenden Empfindungen zurück. Ich habe mir das alles eingebildet, dachte die übermüdete Magda. Ich habe letzte Nacht zuviel getrunken, und wenn man einen Kater hat, glaubt man die merkwürdigsten Dinge. „Kommt nicht in Frage, Marisela, geh nur. Sieh doch, die Kinder warten schon auf dich” Die kleinen Mädchen waren an der Tür zur Küche aufgetaucht, Gesichter und Schürzchen mit Honig verschmiert. Marisela blickte immer noch unentschlossen drein. „Kümmere dich um sie, Camilla, nur solange, wie ich brauche, um nach oben zu laufen und Keitha zu wecken…”
„Pah!” Camilla krauste verächtlich die Nase. „Ihr Leroni, ihr bildet euch ein, die Antworten auf jede Frage zu kennen, wie? Geh du nur und bringe ein Kind ans Licht der Welt, was du am besten
kannst; ich sorge für Margali!” Sie legte den Arm um Magdas Schultern. Marisela seufzte, wandte sich den kleinen Mädchen zu und griff nach der schwarzen Segeltuchtasche, in der sie die Werkzeuge ihres Hebammenberufs mit sich trug.
„Dann wollen wir zu eurer Mama gehen, meine Lieben”
„Und auf uns wartet Mutter Lauria”, sagte Camilla zu Magda. Und Magda riß sich zusammen und folgte ihr in das Büro. Sie meinte, den beunruhigten Blick der blauen Augen Mariselas in ihrem Rücken zu spüren.
Doch im Inneren des Büros war es, als sei ein Knopf gedrückt und ihr Gehirn in einen anderen Gang geschaltet worden, zurück zur Normalität. Camilla war vollkommen abgeschirmt… Sie wird mir nichts derart Unglaubliches antun, wie Marisela es getan hat,
Weitere Kostenlose Bücher