Gildenhaus Thendara
großzügig von dir, Cloris, aber da wir wissen, wie gern du das ißt, können wir dir unmöglich alles wegnehmen.” Mit blitzenden Augen schüttete Jaelle die ganze breiige Masse auf Cloris’ Teller. Magda - und ebenso Cloris - war klar, daß nicht viel gefehlt hätte, und Cloris hätte sie auf die kurzgeschnittenen Locken bekommen. „Ein Geschenk - von meiner Eidestochter!” Die Betonung der letzten Wörter genügte, daß Cloris den Kopf senkte. Das Blut stieg ihr in die runden Wangen. Sie fuhr mit dem Löffel in das widerliche Zeug und würgte es hinunter. Jaelle blieb einen Augenblick triumphierend stehen, dann kehrte sie zu ihrem Platz zurück, wo Magda so tat, als esse sie von dem gebackenen Kürbis, und ergriff ihre eigene Gabel.
Langsam löste sich die Spannung im Raum. Camilla und Doria stellten hundert Fragen über die Terranische Zone. Sie sprachen ein Schnellfeuer-Cahuenga, dem Magda kaum zu folgen vermochte, aber sie spürte, daß Jaelles Zorn beim Erzählen schmolz. Nach einer Weile war es wieder die alte Jaelle, die ihre Freundinnen fröhlich mit überlebensgroßen Abenteuern an weit entfernten Orten unterhielt. All die kleinen Schwächen der Terraner wuchsen zu Albernheiten an.
Magda durchfuhr es wie ein Stich. Was Jaelle ihnen da erzählte, hätte sie auch erzählen können, aber sie hatte sich mit ihrem Ehrenwort, mit ihrem Eid verpflichtet, es nicht zu tun. Sie hatte die falsche Entscheidung getroffen. Wenn die anderen gewußt hätten, daß sie Terranerin war, hätten sie Unterschiede eher akzeptiert und sie weniger getadelt, und sie hätten ihren Fehler beim Schwertkampf als Unkenntnis der Sitten entschuldigt, statt darin eine unehrenhafte Nachlässigkeit zu sehen. Magda war auf ihre Fähigkeit, als Darkovanerin zu gelten, so stolz gewesen; Peter hatte sie einmal gewarnt, das werde ihr noch den Hals brechen! Sie blinzelte die Tränen des Selbstmitleids zurück und stocherte lustlos auf ihrem Teller herum. Jaelle hatte sie vergessen, und die beiden einzigen Menschen im Haus, die sie wirklich gern hatten, Doria und Camilla, waren so hingerissen von Jaelles Schilderungen, daß keine von ihnen ein Wort für Magda Übrig hatte. Der Speisesaal, der groß und zugig war, kam ihr kälter vor als je. Eine eisige Luftströmung blies ihr genau in den Nacken, wo früher Haar gewesen war. Wahrscheinlich war sie morgen erkältet, und diese Leute hatten nicht einmal ein virenbekämpfendes Medikament im Haus! Magda stand leise auf und schlüpfte zur Tür. Niemand würde merken, niemanden würde es interessieren, daß sie gegangen war. Aber als sie auf der Schwelle stand, erhob sich Mutter Lauria an ihrem Platz.
„Bevor ihr euch an eure abendlichen Arbeiten oder zum Ausruhen in eure Zimmer begebt, hört einmal her: Jaelle wird uns morgen beim ersten Licht wieder verlassen. Wer sie vor dem Haustreffen begrüßen will, kann das jetzt gleich im Musikzimmer tun. Vergeßt nicht, die Teilnahme am Haustreffen ist heute abend für alle Pflicht.” Sie hielt Magdas Blick fest, und Magda spürte das alte Würgen in der Kehle.
Die Haustreffen nahmen sie etwas weniger mit als die Schulungssitzungen, deren alleiniger Zweck es war, die Kandidatinnen aus der
Fassung zu bringen und zu demütigen und auf diese Weise alte Verhaltensmuster zu durchbrechen - uns zu lehren, hatte Keitha einmal gesagt, Frauen zu sein, keine Mädchen oder Damen. Keitha verließ die Schulungssitzungen für gewöhnlich in Tränen. Magda war es bisher noch nicht passiert, daß sie weinen mußte, doch hinterher lag sie entweder stundenlang wach und wälzte in ihrem Kopf die Antworten, die sie hätte geben sollen, oder sie wurde von Alpträumen gequält. Im Gegensatz dazu ging es bei den Haustreffen im allgemeinen um Routine-Angelegenheiten das letztemal waren zwei Stunden auf Beschwerden verwendet worden, die Frauen, die im dritten Stock saubermachten, versäumten es, die Badezimmer mit Handtüchern und sanitärem Bedarf zu versehen! Aber bei diesem Treffen würde ihr Eid in Frage gestellt werden. Rafaella hatte heute nachmittag im Waffensaal eine sehr deutliche Anspielung gemacht. Magda war sich klar darüber, daß sie den psychologischen Angriffstruppen nicht standhalten konnte, und mußte zu ihrer Bestürzung an Mariselas Worte denken. Werden sie sich erst dann zufriedengeben, wenn ich vor ihnen allen zusammenbreche und weine? Warten sie nur darauf? Magda schob den Vorhang zur Seite und floh, rannte die breite Treppe hinauf, immer drei Stufen auf
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