Gilgamesch - Der Untergang
zuständig?“
„Die Supernova 1054 natürlich“, erwiderte Herr Gryphius, „deren Überreste heute den Krebsnebel bilden. Sie erstrahlte fünf Jahre nach der Verwandlung des Adeodatus, doch vergessen sie nicht die Entfernung zur Erde von rund 6300 Lichtjahren. Die schwarzen Löcher, die den Stern nach der Explosion verlassen, können mehrfach durch selbst geöffnete Wurmlöcher tunneln, sodass sie scheinbar mit Überlichtgeschwindigkeit fliegen und uns vor dem sichtbaren Licht erreichen“.
„Aber die goldene Scheibe des Quetzalcoatl?“
„Welche Ironie. Die gefiederte Schlange sah in der Zukunft die Supernova 1054 und schickte ihre Botschaft, damit die Ritter der Rosenbruderschaft das Kreuz beschützen könnten. Doch dieser Eingriff in die Zeit ruft immer auch die Gegenseite auf den Plan. Leider waren wir nicht erfolgreich.“
Herr Gryphius hob die Hände in einer Geste des Bedauerns, dann erklärte er auf den fragenden Gesichtsausdruck Christophers hin:
„Diese Auferweckung des Adeodatus von den Toten geht weit über das hinaus, was die Öffnung des Wurmloches vermag. Dazu gibt es Gegenstände, die so alt sind wie die Menschheit. Einer dieser Gegenstände ist der Baum der Schlange, der Baum vom Grabe Adams. Sie wissen von Helena, was er vermag. Während ein sterbender Mensch mit einer medialen Veranlagung durch eine Zeitanomalie aus dem Totenreich zurückkehren kann mit seiner alten, photonischen Seele, ist kein Mensch bereit oder gar in der Lage, dies mit der antiphotonischen Seele zu tun“.
„Teilchen und Antiteilchen sind Begriffe aus der Physik, also der materiellen Welt“, warf Christopher ein.
„Und warum sollte die Natur das grundlegende Prinzip von Materie und Antimaterie auf einer höheren, nichtpositivistischen Seinsebene verlassen?“, fragte Herr Gryphius, und blickte Christopher triumphierend an.
„Photonen sind ebenso schwer zu fassen wie die menschliche Seele. Mir gefällt ganz besonders der mit ihnen untrennbar verbundene Welle-Körper-Dualismus. Das Photon ist gleichzeitig Teil der materiellen Welt der Teilchen und der immateriellen Welt der elektromagnetischen Schwingungen. Die Physiker haben akzeptiert, dass zu jedem Elementarteilchen in einem Paralleluniversum ein Antiteilchen existieren muss. Seltsam ist, dass niemand den naheliegenden Schritt ging, und das Prinzip von Welt und Antiwelt auf die Welt der Seelen übertrug. Welt und Antiwelt sind weder gut noch böse. Sie gehorchen einfachen Gesetzen. Treffen Teilchen und Antiteilchen aufeinander, dann zerstrahlen sie in einem ungeheuren Energieblitz. Treffen photonische und antiphotonische Seelen aufeinander, dann passiert das auch. Man nennt den Moment, in dem das geschieht….“
„Tod?“, ergänzte Christopher ungläubig.
„So ist es“. Herr Gryphius fuhr fort. „Um diese Vereinigung zu verhindern und eine Seele der Antiwelt in die uns bekannte Welt zu schleusen, bedarf es uralter, druidischer Kultgegenstände. Das Kreuz und die Blutreliquie gehören zu diesen Gegenständen. Ein Mensch dieser Welt muss zunächst sterben, damit seine photonische Seele ihn verlässt, dabei aber nicht mit der antiphotonischen- zusammentrifft. Man muss lediglich einen Moment der Schwebe erhalten und den Untergang des Gehirns und der Zellen einen Augenblick hinauszögern. Öffnet sich in diesem Moment durch eine Zeitanomalie ein Tor in die Antiwelt, dann ist der Weg frei für die antiphotonische Seele“.
Herr Gryphius machte eine kurze Pause, um Christopher anzusehen. Da dieser durch ein Nicken signalisierte, dass er alles verstanden hätte, fuhr Herr Gryphius fort.
„Eine gewaltige Singularität aus der Supernova von Bethlehem war von einem unvorsichtigen Zeitreisenden vorhergesagt worden, sodass alle Vorbereitungen getroffen werden konnten. Sie öffnete ein Wurmloch über Golgatha. Am Kreuz wollten wir den jüdischen Rabbi austauschen. Er war ein Druide, der mit seinem Blut das Holz aktivieren konnte, doch dieses Wissen ging über die Jahrhunderte verloren, bis sie uns auf die richtige Spur brachten“.
Herr Gryphius nickte freundlich in Richtung des gefesselten Mannes, der vor ihm lag.
„Wir hätten seine Antiseele, Simon Magus, eingeschleust, und damit wäre er der Messias des Fischezeitalters geworden. Leider hat Jesus unseren Plan vereitelt. Er kehrte mit seiner photonischen Seele zurück.
Dann kam Adeodatus. Ein Hoffnungsträger in einer Zeit des Umbruchs. Der Investiturstreit hatte ein Machtvakuum hinterlassen, und
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