Gillian Shields - Der Zauber der Steine
fragen.«
»Aber ich habe keinen Brief bekommen.«
»Ich weiß. Ich habe ihn nie abgeschickt. Ich wollte nicht, dass eine der Lehrerinnen in deiner vornehmen Schule ihn liest und sich über mich lustig macht.« Einen Moment wirkte er trotzig und ablehnend.
»Cal, niemand würde …«
»Oh doch, sie würden. Wir kommen aus unterschiedlichen Welten.«
Ich war enttäuscht und verletzt. Warum war er gekommen, wenn er doch nur streiten wollte? Ich war nun mal die, die ich war. Nur zu gerne hätte ich das gesamte Vermögen meiner Familie gegen Cals Freiheit eingetauscht.
»Tun wir das wirklich?«, fragte ich verbittert. »Warum bist du dann gekommen?«
Cal zog etwas aus der Tasche. Er sah es einen Moment lang an, dann reichte er es mir. »Um dir den Brief persönlich zu geben.«
Ich nahm das verknitterte Papier und faltete es auf. Vieles war durchgestrichen, als ob er sehr lange hatte suchen müssen, bis er die richtigen Worte fand. Mit zitternden Händen hielt ich den Brief fest und las so schnell ich konnte.
Sarah,
etwas ist mit mir geschehen. Noch nie zuvor hat mich das Umherreisen gestört. Ich bin es gewöhnt, ständig unterwegs zu sein. Aber nun bin ich in meinen Gedanken in der Vergangenheit und nicht mehr in der Zukunft. Ich denke immer an dich und an das, was im Moor geschehen ist, als ich mit Sebastian und den Brüdern unterwegs war.
Aber mehr als an alles andere denke ich an dich.
Was machst du gerade, Zigeunermädchen? Bist du in Sicherheit? Bist du glücklich?
Es gibt noch etwas anderes, das ich dich fragen möchte. Ich hätte es tun sollen, als meine Familie noch in Wyldcliffe war. Aber eines Tages werde ich dich fragen.
Cal
Mein Herz klopfte so stark, dass es wehtat. »Was … was wolltest du mich fragen?«
Cal ließ den Zügel seines Pferdes los und kam noch näher. Mein Gesicht brannte, als er mich ansah. Ich hatte das Gefühl, als sei ich der einzige Mensch auf der Welt, der jetzt wichtig war. »Ich wollte dich fragen …«, seine Stimme klang gepresst, »ich wollte dich fragen, ob du mir das übel nehmen würdest.«
Er beugte sich zu mir, und seine Lippen streiften zögernd die meinen. Etwas in meinem Kopf schien zu explodieren, als ob mein ganzes Leben endlich einen Sinn bekäme und mir endlich die Augen geöffnet worden wären. Als hätte ich endlich den Menschen erkannt, der ich wirklich war. Ich erwiderte seinen Kuss, und es war klar, dass wir zusammengehörten wie zwei ungezähmte Kreaturen, die sich gegenseitig Schutz gaben.
»Oh Sarah«, flüsterte Cal schließlich, »du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich das wollte.«
»Aber du hast nie etwas gesagt. Ich wusste nicht … ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Ich dachte, ich müsste dich vergessen.«
»Helen meinte, dass du und Josh … möglicherweise … ich weiß, er liebt Evie, aber ich dachte, dass du …«
»Nein! Das war eine Dummheit, es war kindisch. Und es ist schon lange vorbei, wirklich.« Ich blickte in Cals besorgtes Gesicht und fuhr leise fort: »Nichts davon war Wirklichkeit. Es war nur ein Traum. Aber jetzt träume ich nicht mehr.«
Sein eben noch angespanntes Gesicht wurde weich, ein befreites Leuchten trat in seine Augen. Wir küssten uns wieder und wieder, und jeder Kuss reinigte meine Seele. Alle quälenden Gefühle waren verschwunden, als Cal mich fest in seinen Armen hielt.
»Ich habe immer nur von dir geträumt, Sarah. Ich konnte dich nicht vergessen. Immer wieder habe ich mir gesagt, dass es unmöglich ist, du in der Schule und ich unterwegs mit meiner Familie, aber ich konnte dich einfach nicht vergessen. Ich weiß, dass wir verschieden sind, ich bin arm …«
»Das ist doch völlig unwichtig«, protestierte ich, »ich habe auch kein Geld. Meine Eltern sind reich, nicht ich. Wir sind jung; nur das ist wichtig. Alles andere ist egal.« Ich seufzte tief und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. »Ich möchte, dass es ewig dauert.«
»Es wird ewig dauern, wenn du es willst. Ich werde mich nicht ändern«, flüsterte Cal. »Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe.«
»Und ich bin so glücklich, dass du zurückgekommen bist. Gott sei Dank!« Ich brach in Tränen aus.
»Hey, nicht weinen«, sagte er sanft, »du musst nicht weinen. Ich will nur, dass du glücklich bist.«
Glücklich sein. Das hatte auch Sebastian zu Evie gesagt. »Sei glücklich!« Das war es, wonach wir alle suchten. Helen suchte nach einer richtigen Familie, Evie suchte nach Trost in ihrer Trauer, und ich
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