Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Blut im Gesicht und trug eine Art Krone auf ihrem Kopf, ein Ring aus ineinander verschlungenen Blättern. Stolz dreinblickende Männer schwebten um sie herum, besorgt und schützend.
»Maria?«, flüsterte ich.
Als Antwort hörte ich ein gewaltiges, wütendes Grollen, das die Kluft zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart aufriss. Ein Sturm aus Trommelschlägen brach los, die Sonne flackerte und verlosch, und das Land versank im Schatten.
Sechzehn
Maria Melvilles Tagebuch,
Wyldcliffe, 10. April 1919
Als wir die finstere Höhle betraten, blieb Zak ganz in meiner Nähe. Die Männer bückten sich und gingen hintereinander den schmalen Stollen entlang, der tief in die Erde führte. Jedes noch so leise Geräusch, die tastenden Schritte, das Schleifen der derben Schuhe auf dem felsigen Untergrund, der schwere Atem, all das wurde verstärkt und hallte in der Dunkelheit wider. Ich war noch nie unter der Erde gewesen und hatte mir Höhlen immer bedrückend und beengend vorgestellt. Irgendwie seltsam, denn so empfand ich es in diesem Moment ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Umgeben von der schweren dunklen Erde fühlte ich mich wie zu Hause. Einige der Männer hatten Fackeln angezündet, die rötlich glimmendes Licht spendeten, aber ich hatte den Eindruck, als könnte ich im Dunkeln sehen. Mein Schritt auf dem rutschigen Fels war sicher und fest, und ich konnte mit geschlossenen Augen fühlen, ob unser Weg nach rechts oder links führte. Ich war überzeugt, dass wir Zaks Vater bald finden würden, er würde sich das verletzte Bein halten und über seine Rettung erleichtert sein. Bis jetzt hatte ich keine Angst. Nicht in diesem Moment, noch nicht.
Schon bald weitete sich der Stollen, als hätte jemand ein Zimmer in den Fels gehauen, bis es schließlich nicht mehr weiterging. Der Anführer der Männer, der auch schon vorher gesprochen hatte, sagte mit rauer Stimme: »Hier ist unser Bruder nicht. Wir müssen tiefer ins Erdinnere, dorthin, wo die bösen Geister hausen. Wer kann uns den Weg dorthin zeigen?«
Die anderen tuschelten miteinander, dann hörte ich eine Stimme antworten: »Der Zauberer! Fairfax muss uns den Weg zeigen. Er ist ein Magier, der mit Geistern umgehen kann. Er soll uns den Weg weisen.«
»Fairfax! Fairfax!«, murmelten die Männer zustimmend.
Langsam wurde Fairfax noch vorne geschoben. Er sagte: »Ich beherrsche doch nur ein paar armselige Tricks, Josef. Mehr nicht. Genug, um auf dem Jahrmarkt ein paar Münzen zu verdienen. Wenn du es wünschst, kann ich eurem Bruder zuliebe meine bescheidenen Künste anbieten. Aber es darf niemand darüber sprechen. Schwört ihr das?« Seine blauen Augen glänzten seltsam im flackernden Licht der Fackeln, und sein sonst so friedliches Gesicht wirkte auf einmal hart und furchteinflößend. Zum allerersten Mal konnte ich mir vorstellen, dass Fairfax tatsächlich mit dem Teufel im Bunde war. »Schwört ihr das?«, wiederholte er.
Josef sprach als Erster. »Wir schwören.« Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und ritzte leicht in seine Handfläche, bis es blutete. »Wir schwören es mit Blut.«
Fairfax umfasste fest Josefs Hand. »So sei es.«
Auf einmal hatte ich Angst, nicht vor der Höhle, sondern vor diesem blauäugigen Fremden und den finsteren Mächten, die er anrufen würde.
Fairfax schritt zu der Felswand hinüber, die uns den Weg versperrte, und legte seinen Kopf dagegen, als ob er auf etwas lauschen würde. Dann begann er, die Oberfläche des rauen Felsgesteins mit den Fingerspitzen zu untersuchen, und tastete nach Spalten, Ritzen und Vorsprüngen. Dabei kam mir in den Sinn, wie er den Spiegel zerbrochen und auf wundersame Weise wieder zusammengesetzt hatte. Er begann in einer rätselhaften Sprache zu sprechen, es klang wie ein Fluch. Er schloss die Augen, Schweiß rann ihm über die Stirn. Er knirschte mit den Zähnen und schrie laut auf: »So wie ich es will, so soll es sein!« Im nächsten Augenblick brach ein Teil der Felswand ein, als wäre sie aus Papier. Die Männer wichen ungläubig zurück, sie husteten und schnappten nach Luft. Ein Durchgang hatte sich geöffnet, ein niedriger Tunnel aus roten und silbernen Steinschichten. Die Angst war mit Händen zu greifen; ob es an der Öffnung lag, die sich aufgetan hatte, oder an Fairfax’ diabolischen Kräften, wusste ich nicht.
»Wir gehen weiter«, knurrte Josef. »Jeder, der jetzt zurückbleibt, wird ein Ausgestoßener sein.«
Einer nach dem anderen krochen wir in den Stollen. Wie lange es
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