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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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Ich fürchte, sie ist außer Haus. Sie ist mit sechs Schülerinnen der Abschlussklasse nach St. Martin’s, um den Sommerball am Schuljahresende zu besprechen. Freust du dich schon darauf? Ich finde, das ist eine tolle Idee, was meinst du? Aber ich wundere mich, dass du an einem Tag wie heute nicht ausreitest. Ein wunderbares Wetter, perfekt für einen 1. Mai!«
    Miss Hetheringtons Begeisterung wehte wie eine frische Brise durch den dunklen Korridor. Wir hatten den ersten Tag im Mai, traditionell der Beginn der warmen Jahreszeit und des erwachenden Lebens! Das hatte ich völlig vergessen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, am liebsten hätte ich laut aufgelacht. Alles klang so normal. Miss Scratton besuchte die Jungenschule. Alle freuten sich auf das Tanzvergnügen, und es war ein wunderbarer Tag für einen Ausritt. Es fühlte sich an, als wären die düsteren Tage des letzten Halbjahrs wie weggewischt, und die Sonne würde endlich auch wieder über Wyldcliffe scheinen.
    »Ja, ich bin … ich meine, ja, wirklich herrlich«, stammelte ich, drehte mich um und rannte zu den Ställen. Starlight wieherte glücklich, als ich ihn sattelte und über das Kopfsteinpflaster führte. Als ich das Gatter des Schulgeländes passiert hatte, hielt ich kurz den Atem an. Aber es war alles halb so schlimm. Es würde nichts passieren, davon war ich überzeugt. Niemand würde mir zu nahe kommen. Die Luft war mild und roch süß, und das sanfte Grün der Hügel zog mich magisch an. In meiner Begeisterung vergaß ich jede Vorsicht und galoppierte in Richtung der Moors . Mein Ziel war der mystische Steinkreis am Blackdown Ridge.
    Die Strecke war länger als gedacht. Ich ließ Starlight die letzte Meile des steiler werdenden Pfades Schritt gehen, bis endlich der Hügelkamm erreicht und der Blick nach allen Richtungen frei war. Der hohe Himmel über den weiten Wiesen wirkte endlos, und die sanft abfallenden Täler reichten bis zum Horizont wie wogende grüne Wellen. Aber das, was vor mir lag, faszinierte mich am meisten. Majestätisch und tiefschwarz hob sich der gezackte Ring aus grob gehauenen Steinen gegen den blauen Himmel ab. Der nicht ganz geschlossene Kreis sah aus wie eine gewaltige Krone, die hoch oben über den Moors thronte.
    Als ich oben ankam, war es schon später Nachmittag. Die Sonnenstrahlen wärmten nicht mehr, und die Megalithen warfen lange Schatten auf die mit Heidekraut bewachsene Landschaft. Ich glitt von Starlights Rücken und schritt ins Zentrum des Steinkreises. Bis hierher hatten Menschen die Steine geschleppt. Schwere Blöcke aus Granit und Kalkstein, der Grund war bis heute ein Rätsel. Ich war seltsam erregt, als ich die starre Schönheit der Menhire erblickte. Es herrschte eine tiefe und geheimnisvolle Stille, als ich in die Schatten der Steine trat, aber ich hatte keine Angst mehr.
    Hier oben auf den Hügeln fühlte ich mich von allen Sorgen befreit, die mich nicht losgelassen hatten, seit ich in die Schule zurückgekehrt war. Das hier war mein Wyldcliffe, meine Welt, ursprünglich und echt. Ich kniete nieder, krallte meine Finger in die schwarze, torfige Erde und dankte dem Schöpfer für dieses Geschenk der Natur. Hier hatte ich nichts zu befürchten. Ich war eine Tochter der Erde, hier war meine Heimat. Hier konnte ich nichts falsch machen. Plötzlich schien es ganz selbstverständlich, die Mächte des Talismans zu nutzen. Alles, was ich wissen wollte, war die Wahrheit über Maria. Wem sollte ich damit schon schaden?
    Meine Hand glitt unter meine Bluse, und ich zog die Silberkette heraus. Jetzt würde ich die Tiefen des Talismans ergründen und das Romamädchen anrufen, dessen Blut auch in meinen Adern pulsierte.
    Ich blickte nach Norden, wo sich die Hügel in den unendlichen Weiten verloren, und hob das Amulett gen Himmel. Die Kette drehte sich im Wind, und das verblassende Sonnenlicht brach sich in dem Kristall. Jetzt leuchtete der Talisman, satt und tiefschwarz wie die Augen einer Romafrau.
    »Maria«, rief ich, »du bist über dieses Land gegangen, du hast auf dieser Erde gestanden. Du hast diese Steine erblickt. Wenn du mich sehen oder hören kannst, gib mir ein Zeichen.«
    Nichts passierte. Der Himmel wurde dämmrig, die Luft schneidend kalt, und ich schauderte.
    »Ich bin die Tochter der Tochter deiner Tochter«, schrie ich, »sprich mit mir. Komm zu mir.«
    Das Licht veränderte sich. Auf der mir abgewandten Seite des Steinkreises sah ich plötzlich ein Mädchen vor dem höchsten Megalith liegen. Sie hatte

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