Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

…«
    Schließlich brannten die Kerzen in einem Ring aus zuckenden Flammen. Ein erwartungsvoller Schauer lief durch mich hindurch. Im Heiligen Kreis würden unsere Kräfte verbunden und verstärkt werden; wir würden stärker sein, bereit für alles. Ich trat in den Ring aus Feuer, löste die glänzende Kette und legte sie vorsichtig auf den Steinboden. Dann traten Sarah und Helen ebenfalls in den Kreis, und wir hielten uns an den Händen. Helen begann mit leiser Stimme zu sprechen: »Wir rufen dich an, wir Schwestern des Windes, der Erde und des Meeres. Wir rufen das Feuer des Lebens an. Segne unseren Kreis. Segne uns.« Dann begann Sarah leise zu singen: »Die Luft unseres Atems, das Wasser unserer Adern, der Lehm unserer Körper …«
    Wir hoben die Arme zum Mond und den Sternen empor, die unsichtbar über uns ihre Runden drehten.
    »Heilige Kräfte«, rief ich. »Gestattet mir, das Geschenk zu nutzen, das unsere Schwester Agnes mir hinterlassen hat. Lasst mich seine Kraft kennen lernen; lasst mich seine Geheimnisse erkennen. Öffnet den Talisman für mich, ich flehe euch an.« Dann kniete ich nieder und legte meine Hand auf den Kristall in der Mitte des Talismans. Als ich den Edelstein berührte, blitzte ein silberblaues Licht in ihm auf und ließ die Mosaiken mit tausend Spiegelungen
zum Leben erwachen. Mein Herz begann zu rasen. »Wasser des Lebens, ich rufe deine Kräfte an, diesen Pfad für mich zu öffnen. Agnes, Sebastian, helft mir.«
    Ich versuchte, meinen Geist auf den großen, grenzenlosen Ozean zu konzentrieren, der so tief wie meine Liebe war, so wild wie meine Träume, so machtvoll wie meine Feinde. Ich hörte das Seufzen und Tosen der Wellen. Ich hörte Sarah und Helen singen und stimmte mit ein, beschwor mein geheimes Selbst, wie ich es getan hatte, als ich den See aus seinem ruhigen Bett gehoben hatte: »Ich denke, ich fühle, ich begehre … Ich befehle dem Talisman, meinen Ruf zu hören … Mystische Kräfte, kommt uns zu Hilfe und helft uns jetzt.«
    Aber das Licht aus dem Kristall erstarb, und nichts geschah.
    Die Wirklichkeit.
    Der Talisman lag wunderschön und leblos in meiner Hand. Der Augenblick war vorüber.
    »Es nützt nichts«, seufzte ich. »So wird es nicht funktionieren. «
    Ich befestigte die Kette wieder um meinen Hals und verließ den Kreis. Helen blies die Kerzen auf dem Boden aus. Die Grotte wirkte nun wie eine nasskalte Höhle und nicht wie ein Ort der Wunder. All meine Aufregung löste sich in Nichts auf.
    »Es tut mir leid, Evie«, sagte Helen leise. »Aber irgendwie hatte ich nie das Gefühl, dass es so einfach sein würde.«
    »Was tun wir jetzt?«, fragte Sarah. »Jeder Tag, jede Stunde, jede Sekunde ist kostbar. Wir müssen irgendwelche Fortschritte machen.«

    »Vielleicht ist das das Problem.« Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. »Vielleicht sind wir einfach nicht fortgeschritten genug, was den Mystischen Weg betrifft. Als Agnes den Talisman gemacht hat, hatten ihre Kräfte längst den Höhepunkt erreicht. Ich weiß, dass Helen schon einige Zeit länger mit ihren Fähigkeiten im Einklang ist, aber du und ich, Sarah – sind wir nicht wirklich erst Anfängerinnen? Vielleicht muss ich meine Kräfte erst noch mehr entwickeln, damit ich die gleiche Macht über das Wasser habe, wie Agnes über das Feuer. Sie hatte alle möglichen erstaunlichen Fähigkeiten. Müsste es nicht so sein, dass ich die gleichen benötige?«
    Sarah wirkte sofort beeindruckt durch meine Worte. »Es kommt mir sinnvoll vor. Aber wir haben nur so wenig Zeit …«
    »Dann werden wir üben, so viel wir können«, unterbrach ich sie. »Wir können jede Nacht hierherkommen, wenn es nötig ist, oder uns irgendwo in der Schule einen Ort suchen, wo wir nicht gesehen werden. Was denkt ihr? Lohnt sich ein Versuch?«
    Helen und Sarah legten ihre Hände über meine, als würden wir einen Eid leisten. »Wir werden nicht aufhören, bis sich der Talisman für dich geöffnet hat, Evie. Wir sorgen dafür, dass das passiert, das versprechen wir dir.«
    Und wir hörten nicht auf. Die erste Woche in Wyldcliffe verging wie im Flug, als ich mich Tag und Nacht in meine Arbeit stürzte. Ich summte vor Adrenalin, begierig darauf zu lernen, und es schien keine Rolle zu spielen, was. Ob ich in der Grotte Wasser in Silbernebel verwandelte oder aus dem Gestein der Höhle Flüssigkeiten herausholte, ob ich in den alten Klassenräumen hockte
und Lateinverben oder chemische Reaktionen lernte, ich stand immer in Flammen. Wissen