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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das heilige Feuer
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musste arbeiten, ohne nachzudenken, und das Bild seines bleichen und kranken Körpers hielt mich während all der langen Stunden des Lernens aufrecht.
    Am Samstagnachmittag nach der letzten Unterrichtsstunde ging ich den schneebedeckten Pfad von den Ställen zurück, wo ich Sarah geholfen hatte, ihre Ponys zu versorgen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand zusah, beschwor ich eine Woge meiner Gedanken und zuckte leicht mit dem Handgelenk. Unverzüglich begann eine Schneewehe auf einem Blumenbeet
zu schmelzen, und es kamen feste, junge grüne Spitzen zum Vorschein, die sich durch den Boden kämpften. Glühende Freude erfasste mich, erstarb aber gleich wieder. Ich hatte bewiesen, dass ich Macht über Wasser besaß, aber wie sollte ich sie nutzen? Würde mich dies dem Innern des Talismans näherbringen?
    »Ist es n-nicht k-kalt?«
    Verblüfft sah ich mich um. Harriet kam den Pfad entlang auf mich zugestolpert. Ich war wütend und hoffte einfach nur, dass sie nichts gesehen hatte. Seit wir zusammen mit dem Zug gefahren waren, war sie immer wieder auf mich zugekommen und schien an jeder Ecke auf mich zu stoßen und mich andauernd irgendetwas fragen zu müssen: »Evie, weißt du, wo ich ein neues Heft herbekomme? « — »Evie, wie frage ich, ob ich im Chor mitsingen kann?« – »Evie, kannst du mir bei den Matheaufgaben helfen?«
    »Was machst du denn hier?«, fragte ich. Ihre Nasenspitze war rosa und ihre Zähne klapperten. »Du wirst dir noch den Tod holen.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Der Unterricht ist zu Ende, und ich habe nichts zu tun.«
    »Nun, warum gehst du dann nicht zu deinen Freundinnen, um mit ihnen zusammenzusitzen?«
    Harriet sah aus, als wäre es ihr peinlich, als sie mit angespannter, dünner Stimme antwortete: »Ich habe eigentlich noch gar keine richtigen Freundinnen hier.«
    Sie tat mir leid, aber ich hatte einfach keine Zeit für so etwas.
    »Und du wirst auch keine Freundinnen finden, wenn du so allein durch die Gegend läufst«, sagte ich etwas
schroff. »Einige der jüngeren Mädchen malen und basteln an den Samstagnachmittagen im Speisesaal. Warum gehst du nicht zu ihnen?«
    »Ich würde mich lieber mit dir unterhalten.«
    »Sei nicht dumm. Du musst mit Mädchen deiner eigenen Altersstufe zusammen sein.« Ich scheuchte sie so freundlich wie möglich weg. »Husch, Harriet. Und wenn du das nächste Mal rausgehst, binde dir wenigstens einen Schal um und zieh Handschuhe an!«
    Ich sah zu, wie sie wegging, dann beeilte ich mich und suchte Helen in der Eingangshalle. Die Gedanken an Harriet vergingen rasch, während ich einen Moment dastand und mich an dem Feuer wärmte, das im steinernen Kamin ziemlich weit heruntergebrannt war. Helen hatte bereits mit unserer samstäglichen Arbeit angefangen und war dabei, die Treibhausblumen in der großen, bronzenen Vase zu arrangieren, die auf dem Tisch in der Eingangshalle stand — noch so eine blöde Stipendiaten-Pflicht. Die üppigen Blüten bildeten einen Kontrast zu ihren spinnwebfeinen Haaren, und selbst in ihrer tristen Schulkleidung wirkte sie wie eine wilde, junge Göttin, die von Efeu und Lilien und Rosen umgeben war.
    Miss Hetherington, die Kunstlehrerin, ging mit einem Stapel Zeichenblöcke durch die Halle.
    »Hübsche Blumen, Mädchen«, sagte sie anerkennend. »Wir können bei all dem Schnee wirklich ein paar Farben gebrauchen.« Einen Moment lang konnte ich mir vorstellen, ich wäre in einer gewöhnlichen Schule, wo die Lehrerinnen einfach nur Lehrerinnen waren, und keine Frauen, vor denen man Angst haben musste. Aber dies war Wyldcliffe, wo man niemandem trauen konnte. »Ich bin
froh, dass du hier bist, Evie«, sprach Miss Hetherington weiter. »Ich habe dich schon gesucht. Diese Nachricht ist aus Versehen bei der Post für die Lehrerinnen abgegeben worden. Sie ist an dich adressiert.« Sie reichte mir einen kleinen Umschlag und ging weiter. Plötzlich beklommen, riss ich ihn auf.
    HOFFE, DU HAST DEINE ERSTE WOCHE
GENOSSEN.
ES WIRD DEINE LETZTE SEIN.
    »Noch so was«, sagte ich und reichte sie Helen. »Noch eine Drohung.«
    »Was wirst du tun?«
    »Ich kann nichts tun. Ich kann nur einfach weitermachen. Mich noch mehr anstrengen. Schneller arbeiten. Was sonst?«
    Und so schlüpfte ich in dieser Nacht wieder aus dem Bett und schlich mich die Dienstbotentreppe hinunter und in den Hof. Im hinteren Winkel des sanften, hügeligen Abteigeländes wuchs dichtes, schneebedecktes Gebüsch, das einen Steinhügel überwucherte. Ich schob

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