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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das heilige Feuer
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erwartungsvollen Blickes in seinen Augen nur zu bewusst. Verlegen wand ich mich aus seinen Armen und versuchte zu lachen. »Ich bin ganz offensichtlich nicht in genügend guter Verfassung zum Reiten. «
    »Was ist wirklich los, Evie?«, fragte Josh mit einem ebenso verwirrten wie besorgten Blick. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass du … na ja, dass du dir um irgendwas Sorgen machst.«
    Ich spürte, dass Harriet mich von der anderen Seite
der Koppel aus ansah. Sie war immer noch da, wie eine kleine alte Frau eingewickelt in einen Haufen schlecht sitzender Kleidungsstücke. Krähen ließen sich in den uralten Bäumen auf dem Gelände nieder, und ihre Schreie erklangen schrill und durchdringend in der Dämmerung. Der kurze Wintertag neigte sich bereits seinem Ende zu. Für einen flüchtigen Augenblick wünschte ich mir, mit Josh sprechen zu können. Er wirkte so … nun, so normal , so weit weg von der Welt, in der ich jetzt lebte. Aber es hatte keinen Sinn. Ich konnte nicht einfach ihn mit meiner Bürde belasten, nur weil er warm und freundlich war. Ich brauchte keine Krücke, auf die ich mich stützen konnte. Ich würde mit alldem allein klarkommen.
    »Es ist einfach nur so düster heute Nachmittag«, sagte ich. »Und hör nur, wie der Wind heult! Davon habe ich schon den ganzen Tag eine Gänsehaut.«
    Josh musterte mich forschend. »Ich kümmere mich für dich um Bonny«, sagte er und nahm mir die Zügel ab. »Geh und ruh dich ein bisschen aus. Und, Evie …« Er wollte etwas sagen, aber dann änderte er seine Meinung und machte sich am Pony zu schaffen. »Ich hoffe, dass es dir bald besser geht. Nächste Woche, gleiche Zeit?«
    »Ja.«
    Langsam ging ich zu den Ställen zurück. Der Wind zerrte an den halb im Schatten liegenden Gebäuden der Klosterschule. Es kam mir so vor, als würde er mich hierhin und dorthin stoßen, als wäre ich kaum schwerer als ein totes Blatt, ohne irgendeinen eigenen Willen. Ich trieb vom Stallhof weg und über die Terrasse. Dort verharrte ich einen Augenblick und sah über die winterlichen Wiesen, von denen aus man zum See gelangte.

    Der See. Das tiefe, tiefe Wasser. Schwarze, nasse Tiefen. So kühl, so schwer, so reglos und einladend. Das Wasser rief mich, ich musste näher herangehen. Ich begann, über die Wiesen zu stolpern, aber etwas war falsch. Alles verlangsamte sich, verblasste zu Schwärze. Mir war eiskalt.
    Evie ... Evie . . . Wo bist du?
    Es war Sebastian. Ich war mir ganz sicher; er rief mich von der Ruine aus.
    Er war dort.
    Er suchte nach mir.
    Endlich war er zurückgekommen.
    Nichts anderes war jetzt noch wichtig. Nichts anderes existierte noch. Energie loderte durch mich hindurch, und ich lief Hals über Kopf los, rutschte auf dem gefrorenen Weg aus und murmelte leise: »Ich bin hier, ich komme. Warte auf mich, Sebastian!« Ich schoss unter den schwarzen Bogen der Kapelle hindurch und kam dann schlitternd zum Stehen. Sechs Frauen in Kapuzenumhängen standen um den Hügel herum, wo einmal der Altar gewesen war. Einen Moment später war ich umzingelt, und ihre Hände griffen gierig nach mir. Eine von ihnen sprach mit gedämpfter, unheimlicher Stimme: »Oh, wie schön, dass du unseren Ruf beantwortet hast.«
    »Nein!« Ein gewaltiger Schrei zerriss die Luft, und eine Mauer aus Licht erstand wie ein Schild zwischen mir und den Frauen. Als ich zu Boden stürzte, wirbelte alles um mich herum, und ich sah, wie sie sich umdrehten und sich zurückzogen. Ihre schwarzen Umhänge flatterten im Wind. Dann schien sich das Licht zu verändern, und der schwere Geruch von Kerzen füllte meinen Geist wie
schläfrig machender Weihrauch. Leise Stimmen sangen, so traurig und abgrundtief wie das Lied des Meeres. Ich befand mich noch immer in der Kapelle, aber das Dach war jetzt nicht mehr der tintige Himmel. Geschnitzte, vergoldete Balken ragten über mir auf, und das Bleiglasfenster hinter dem Altar glühte in hundert farbigen Juwelen. Reihen von Frauen in weißen Trachten, heilige Schwestern, sangen im Kerzenlicht, ihre Gesichter in feierlicher Verzückung erhoben. Eine von ihnen wandte mir ihr Gesicht zu, und ihre Augen kamen mir irgendwie bekannt vor …
    Die Kerzen gingen aus, und die Musik hörte abrupt auf. Die Kapelle war wieder eine in Trümmern liegende, bedeutungslose Hülle, und Sterne leuchteten am Himmel über mir. Die bedrohlichen Frauen in den dunklen Gewändern waren weg, und weg waren auch die Reihen singender Nonnen. Ich hatte das Gefühl, als wäre sehr viel Zeit

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