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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das heilige Feuer
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schwarzen Wasser der Erinnerung. Sebastian! , rief ich im Geist. Wo bist du? Sag mir, wo du bist!
    Schlagartig öffnete ich die Augen und fand mich über der Schüssel hockend wieder; ich hielt noch immer den Rand fest. Während ich auf mein Spiegelbild im Wasser blickte, veränderte es sich, und dann war es Sebastians Gesicht, das ich auf der glasigen Oberfläche sah. Er lag auf dem Rücken, so blass und reglos, dass ich einen Moment Angst hatte, er wäre tot. Nein, das ist nicht richtig , dachte ich. Er kann nicht sterben; er ist niemals gestorben .
    Sebastian öffnete die Augen. Ich sah, wie er sich auf seinen Ellenbogen aufstützte und sich mit der Hand übers Gesicht strich. Neben ihm lag ein Haufen Papiere und Briefe, die er plötzlich zur Seite wischte. Dann kämpfte er sich unsicher auf die Beine und begann wegzugehen, als würde jeder Schritt schmerzen. Er stolperte weiter, und das Bild begann zu verblassen. Er verließ mich.
    »Geh nicht! Geh nicht!«
    Ich schleuderte die Schüssel auf die andere Seite des Zimmers und brach in Tränen aus. Sarah hielt mich fest,
wie eine Mutter, die ein Kind beruhigte, während ich weinte und weinte und einfach nicht aufhören konnte.
    Danach schämte ich mich. Mit Tränen würde ich gar nichts erreichen. Taten und Stärke und Wissen waren gefordert, nicht schwache Gefühle. Aber zumindest hatte ich Sebastian gesehen, sagte ich mir. Er war noch nicht aus meinem Blickfeld verschwunden, auch wenn ich nach wie vor nicht wusste, wo er sich versteckte. Ich musste schneller und härter arbeiten. Ich musste mich mehr konzentrieren. Es war keine Zeit zum Weinen.
    Ich würde mich unseren Experimenten mit noch größerer Entschlossenheit widmen. Ich versprach mir, dass ich jede Nacht die verborgenen Stufen hinaufschleichen würde, um in Agnes’ geheimem Zimmer zu arbeiten, und mich Schritt um Schritt vorankämpfen würde, um die Geheimnisse zu enträtseln, die Sebastian zu guter Letzt befreien und ihn zu mir zurückbringen würden.

Zwanzig

    D ie Tage rasten wie im Traum dahin, und die Nächte vergingen wie im Flug, während wir hart arbeiteten, kaum Schlaf bekamen und ständig unter der Angst litten, entdeckt zu werden. Aber niemand schien von der Treppe zu wissen, die nach oben zum Dachboden führte, und wir waren für den Augenblick erst einmal in Sicherheit. Französisch, Biologie, Mathematik, Musik – all das wirbelte in meinem Geist neben unseren Experimenten mit dem Mystischen Weg herum. Eines Nachts brachte Helen einen Stapel Bücher dazu, sich in die Luft zu erheben und durch den Raum zu schweben. Als Nächstes war Sarah an der Reihe; sie hielt einen Klumpen Lehm in den Händen und formte ihn zum filigranen Modell eines Baumes, einfach mit der Kraft ihrer Gedanken und ihres Willens. Wir waren etwas Besonderes, redete ich mir fieberhaft ein. Schon bald würden wir in der Lage sein, alles zu tun, was wir tun wollten; wir waren begnadet, erwählt, besonders … Aber als die Tage verstrichen, wurde ich müder und müder. Meine Glieder schmerzten, und mein Kopf summte. Was mich weitermachen ließ, war die Liebe zu Sebastian. Und die Angst um ihn.
    Es war schwer vorstellbar, dass Celeste und die anderen nichts von dem mitbekamen, was wir durchmachten.
Aber ihnen ging es immer noch vor allem darum, wer von seinen Eltern ein teures Paket bekam, oder wer im Schulchor die Solostimme singen durfte, und wer’s ins Lacrosse-Team geschafft hatte. Das Leben in der Schule ging weiter seinen üblichen Gang, aber wir waren nicht ganz Teil davon. Ich versuchte, jeden Kontakt mit den anderen Schülerinnen zu vermeiden. Es war leichter, niemandem zu vertrauen, abgesehen von Helen und Sarah. Ich wollte mich nicht durch eine unachtsame Bemerkung verraten, und ich wollte auch nicht, dass jemand irgendwelche Gesprächsfetzen aufschnappte. Aber es war unmöglich, Harriet ganz aus dem Weg zu gehen.
    Sie tauchte immer plötzlich auf wie ein verlorenes Hündchen, nur zu bereit, loszurennen und mir beim Mittagessen ein Glas Wasser zu holen, oder meinen Stift aufzuheben, wenn ich ihn fallen gelassen hatte, oder mir bei meinen Aufgaben zu helfen. Ihre hündische Ergebenheit hatte etwas wirklich Jämmerliches, und ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass sie ein paar eigene Freundinnen finden würde.
    Schließlich stand wieder einmal ein Sonntag bevor, nach einer Woche mühsamer Arbeit. Als ich aufwachte, fühlte ich mich krank und heiß, aber ich zwang mich, ganz normal aufzustehen, so wie immer.

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