Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
Höfe, der auf dem Weg nach Hause war. Du musst ihn ebenfalls zu Tode erschreckt haben. Und jetzt komm mit«, sagte Miss Scratton schroff. »Wir besorgen dir etwas heiße Schokolade und vergessen das alles wieder.« Sie scheuchte Constance und die anderen Mädchen aus der Halle, aber während sie das tat, warf sie einen Blick zu mir herüber. Es kam mir so vor, als würden mir ihre scharfen schwarzen Augen eine Botschaft übermitteln.
Sebastian. Es musste Sebastian gewesen sein. Mein Herz raste. Er war da draußen gewesen, hatte nach mir gesucht. Wenn ich es nur gewusst hätte, wenn er nur am See gewartet hätte – und dann trafen mich die Worte des Mädchens mit ihrer ganzen Wucht. Ich glaube, er war dabei zu sterben. Ich sah Sebastians kalkweißes Gesicht vor mir aufblitzen, sah seine rotgeäderten Augen und hörte seine mühsamen Atemzüge. Aber er war nicht am Sterben; er konnte nicht sterben …
Ich wusste, was es bedeutete. Sebastian musste nun beinahe verblasst sein. Jetzt war nur noch ein dünner Vorhang zwischen ihm und seinem furchtbaren Schicksal. Er würde diese Welt schon bald verlassen und sich in die Schatten begeben, in seine ewig währende Gefangenschaft. Die Zeit lief uns davon. Sebastian wurde schwächer und schwächer; er konnte kaum noch atmen. Ich konnte kaum noch atmen … ich war so schwach. Alles um mich herum verblasste …
Die schachbrettartigen Fliesen verschwammen vor meinen Augen, und meine Beine zitterten. Dann stürzte ich in vollständige Schwärze, so dunkel und undurchdringlich wie ein Grab.
Einundzwanzig
Aus den persönlichen Unterlagen
von Sebastian James Fairfax
Ich bin wieder zurück in meinem lebendigen Grab.
Meine Kräfte lassen nach, aber ich muss dir sagen …
Ich habe versucht, dich zu finden; glaube mir, meine Liebste – du musst mir glauben.
Ich habe versucht, dich zu treffen, Evie. Ich habe es so sehr versucht.
Meine Vision von dir hat mich stärker gemacht. Ich dachte, ich wäre vielleicht in der Lage, dich zu erreichen. Ich habe geglaubt, dass ich geheilt werden würde, wenn ich dich nur erreichen könnte. Und so habe ich meinen Willen angestrengt, um die Reise zu machen.
Eine kurze Stunde lang habe ich den Wind wieder auf meinem Gesicht gespürt; ich habe zugesehen, wie die Sonne am Winterhimmel untergegangen ist, und wie die ersten Sterne über mir herausgekommen sind. Ich habe die feuchte, kühle Luft des Sees eingeatmet, in dem wir einst zusammen geschwommen sind und wo unsere Körper sich vor Verlangen verzehrt haben. Unter dem Tor─ bogen der alten Ruine habe ich auf dich gewartet, während der Tag erstarb und die Nacht sich herabsenkte.
Ich habe die Augen geschlossen und bin auf den Boden gesunken, erschöpft von meiner Reise, nichts sehend, nichts hörend, nur an dich allein denkend.
Evie, ich habe dich gerufen, und du bist gekommen! Aber alles hat sich in Asche verwandelt, und ich musste feststellen, dass ich dich in eine Falle gelockt hatte. Einige meiner früheren Dienerinnen hatten auf dich gewartet und freuten sich hämisch über ihr unschuldiges Opfer. Ich habe gerufen, um dich zu warnen, und die Tropfen meiner Macht benutzt, um dich abzuschirmen, und sie haben sich zerstreut wie Ameisen, die von einem Stock aufgescheucht wurden.
Ich habe dich gesehen. Ich war da, ich habe es ver─ sucht — ich habe es versucht. Dann ist etwas passiert, womit ich gar nicht gerechnet hatte: Ein heiliger Ge─ sang war plötzlich zu hören, Farben und Lichter glühten, und eine Vision von hoher, seltener Macht stieg auf. Ich hätte schwören können, dass dies alles von dir kam, und doch warst du irgendwie getrennt und jenseits je─ der Möglichkeit, an Hilfe anzunehmen, was ich dir hätte geben können. Ich konnte in dieser strahlenden Gesell─ schaft nicht bleiben, ich musste fliehen.
Jemand hat mich gesehen, ein junges Mädchen. Sie ist vor mir zurückgewichen, als wäre ich ein Ungeheuer. Und so wie ein Ungeheuer, habe ich mich in meine Dunkelheit zurückgezogen.
Vergib mir, Evie. Ich habe versucht, dich zu finden, und ich habe versagt. Oh Gott, werde ich denn nie auf─ hören zu versagen?
Ich war schuld, dass Agnes gestorben ist. Es lag an mir, dass die ersten Frauen des Hexenzirkels ihr ein─
faches Zuhause verlassen haben, um meine verdorbenen Ziele zu verfolgen. Meinetwegen sind sie Schwestern der Dunkelheit geworden. Meinetwegen bist du in Gefahr geraten. Und jetzt, da mich nur noch ein dünner Schlei─ er von meinem Schicksal
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