Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
einfach versuchen. Alles in Ordnung, Harriet? Hast du noch Kopfschmerzen?«
»Nein.« Sie sah sich plötzlich nervös um, und dann eilte sie davon.
»Was sollte das denn?«, fragte Helen, als sie weg war. »Was glaubt ihr, wie viel hat sie wohl gehört?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Sarah. »Wir müssen vorsichtiger sein. Auch, wenn ich nicht glaube, dass da irgendwas dahintersteckt. Harriet ist einfach nur so verrückt wie immer.«
Ich war mir da nicht so sicher. Als Harriet weggegangen war, hatte ich etwas bemerkt. Auf ihrem Rock waren ein paar rötlich-braune Dreckstreifen gewesen, wie Matsch oder Rost. Oder vielleicht auch wie Blut.
Das Mittagessen war vorbei. Jetzt hatten wir ganz offiziell eine Stunde Zeit, um Briefe zu schreiben. Eine Pflicht, die wir einmal in der Woche erfüllen mussten. Einige Mädchen maulten, weil sie nicht zu Hause anrufen durften. »Haben die hier noch nichts von Handys gehört?«, klagten sie. Aber in Wyldcliffe waren die Dinge eben anders als anderswo, und von den Schülerinnen, die hier gewesen waren, wurde erwartet, dass sie in der Lage waren, ausdrucksvolle, elegante, höfliche Briefe zu schreiben – genauso, wie die Schülerinnen vor fünfzig Jahren es gekonnt hatten. Also saßen wir mit gebeugten Köpfen da und kritzelten etwas aufs Papier und taten so, als könnte
man die moderne Welt ebenso vollständig unter alten Traditionen begraben, wie der Schnee das Gras begrub.
Miss Scratton ging langsam im Zimmer auf und ab, teilte Schreibpapier aus, wies ein Mädchen wegen ihrer unordentlichen Handschrift zurecht und beobachtete alles mit ihren scharfen, schwarzen Augen. Ich spürte, wie ihr Blick über mich hinwegglitt, und mein Magen hob sich angewidert. Glaubte sie wirklich, ich würde so dumm sein, Sebastian in den Briefen an meinen Vater zu erwähnen? Glaubte sie wirklich, sie würde mich so leicht kriegen können? Ich neigte den Kopf und versuchte, meinen Brief zu schreiben. Inzwischen hasste ich Miss Scratton; ich würde niemals aufhören, sie zu hassen, und dieser Hass brannte wie eine Obsession in meinem Kopf. Aber ich musste so tun, als wäre ich vollkommen glücklich, als wäre ich eine sorglose Schülerin, die nach Hause schrieb und über belangloses Zeug plauderte.
Lieber Dad,
Es geht mir gut, und ich arbeite hart. Ich glaube, allmählich fange ich an zu verstehen, was die Chemie-Lehrerin uns zu sagen versucht. Ich habe nachgedacht; vielleicht werde ich Medizin studieren. Die Vorstellung, in einem heilenden Beruf zu arbeiten, gefällt mir.
In Geschichte haben wir etwas über die alten Klöster und die großen Ordenshäuser gelernt, bevor Heinrich VIII. sie alle zerstört hat. Mir gefällt die Vorstellung gar nicht, dass die Nonnen von Wyldcliffe, diese armen Frauen, vor mehreren hundert Jahren aus ihrem Zuhause vertrieben wurden. Manchmal denke ich, ich kann sie in der Ruine der Kapelle singen hören, und manchmal habe ich das Gefühl,
auf eine seltsame Weise sind wir immer noch ein bisschen wie sie, hier oben so vom Rest der Welt abgeschnitten. Das Wetter ist immer noch kalt – so viel Schnee haben wir bei uns am Meer nie gehabt!
Ich mache Fortschritte im Reiten, auch wenn ich fürchte, dass ich nie wirklich gut sein werde. Mein Reitlehrer ist nett und sehr ermutigend. Danke, dass du dafür bezahlt hast. Ich weiß das wirklich zu schätzen.
Liebster Dad, ich vermisse dich so. Ich gebe mir alle Mühe, das verspreche ich.
All meine Liebe
Evie XXX
Ich steckte den Brief in einen Umschlag. Ich konnte nicht sagen, was ich wirklich sagen wollte:
Lieber Dad,
Heute Nacht werden wir unseren Kreis bilden und versuchen, das Feuerelement zu beschwören. Ich weiß nicht, was passieren wird. Es könnte gefährlich werden. Es könnte ein vollständiger Reinfall werden. Aber die Seele von jemandem hängt davon ab, und daher muss ich es versuchen. Eine verlorene, verzweifelte Seele. Seltsam, die Leute sprechen nicht mehr über Seelen, oder? Und trotzdem war dies hier einmal ein Ort, an dem die Nonnen über nichts anderes nachgedacht und für nichts anderes gebetet haben. Eine Lehrerin, der ich vertraut habe, hat sich als mein Feind herausgestellt, und mir ist total schlecht, aber ich werde nicht zulassen, dass sie siegen. Ich kann es nicht.
Da ist noch etwas, das mich bedrückt, Dad. Dieser Junge, der mich im Reiten unterrichtet, ist so nett, aber ich habe
Angst, dass ich ihn verletzen werde. Da ist so ein Blick in seinen Augen, wenn er mich ansieht, eine Art
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