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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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sich Ginster, die Gespräche auszudehnen, seine Nachbarn sehnten sich fort, während er kaum wußte, wohin er sich hätte wünschen sollen, und so blieb er zuletzt allein und blinzelte zu den Kuppeln hinüber. Auf eine Anregung Renzens hin wurde von einem gewissen Zeitpunkt ab fast immer gekegelt. Eigentlich hatte Landauer die Anregung gegeben, aber nach außen hin sah es so aus, als sei er ursprünglich gar nicht an dem Entschluß beteiligt gewesen und werde nur um seine Meinung befragt. Das Sträuben Ginsters gegen die Kegel verkehrte sich nach den ersten besseren Würfen in Eifer. Hatten ihn vorher die andern zu einer Beteiligung zwingen müssen, so verübelte er ihnen jetzt, daß ihre Aufmerksamkeit leicht erlosch. Niemals ließ sich ermessen, wann sie das Spiel ernst nahmen oder als Spiel. Wenn während des Kegelns ein Lazarettzug gemeldet wurde, war Ginster ärgerlich über die Störung. Einmal mußte abends, zu freilich schon vorgerückter Stunde, an einer besonders erregenden Stelle das Spiel abgebrochen werden. Sie marschierten an den Südbahnhof, einen kleinen Bahnhof des Außenbezirks, der zum Empfang der Verwundeten hergerichtet worden war. Dort warteten sie in die Nacht hinein, nur eine elektrische Bogenlampe brannte. Gewöhnlich dauerte es stundenlang, bis der Zug einlief, zu dessen Entleerung man sie befahl. In der Güterhalle stellten die Damen in ihren weißen Mänteln den Kaffee bereit, auf der Straße sammelten sich die Trambahnen zum Abtransport. Zwischen Trambahnern und Sanitätern herrschten Kameradschaftsgefühle, die sich auch auf die Schutzleuteerstreckten; während die Damen als Vorgesetzte anerkannt sein wollten oder sich doch unnahbar verhielten. Bei einer früheren Gelegenheit hatten sie Ginster ersucht, ihnen ein paar Tassen zu putzen; als sei er ein zur Aushilfe engagierter Diener. Sie gliederten sich untereinander wieder in Kasten. Landauer kannte einige Damen, die zur höchsten Rangstufe zählten, und nickte ihnen aus der Uniform heraus wie auf einem Wohltätigkeitsbasar zu. Als es zwei Uhr schlug, verstummten alle Gespräche. Auf der Laderampe hin und her spazierend, kam sich Ginster ganz militärisch vor, ein Wachtposten im Biwak. Dann traf der Zug ein, und sie verteilten sich in die Wagen. Es stank, die Verwundeten lagen übereinander geschichtet. Schwestern, Kommandos und Ärzte. Die Bahren mit den Soldaten wurden in die Trambahnen geschleppt. Landauer, der Renz zu sich gewinkt hatte, begab sich nicht in die Trambahn, die ein bequem gelegenes Lazarett versorgte, sondern der betreffenden Trambahn wurde das bequem gelegene zubestimmt, weil Landauer in ihr stand. Daß Ginster nicht ebenfalls mitgenommen werden konnte, galt als seine eigene Schuld. Unterwegs redete er einen Leichtverletzten an, der F. noch nicht kannte. Ein bleiches Gesicht wie die andern; war im Westen gewesen; erkundigte sich, ob die Mädchen in F. zugänglich wären. Ginster erzählte vom Dienst: »Immer nachts unterwegs, die vielen Bahren, lauter Verwundete, die unverhofft kommen.« Der Mann von der Front bemitleidete Ginster. In dem Krankenhaus, das sich auf der entgegengesetzten Seite der Stadt befand, trugen sie ihre Lasten durch die trüb erhellten Gänge. Die Schwestern bewirteten später das Trüppchen mit Schmierwurst.
    Otto war ins Feld gerückt. Auf einen Truppenübungsplatz hinter der Westfront, den seine Eltern in Gedanken noch weiter zurück verlegten, bis ihn Geschütze nicht mehr erreichten. Der Sohn von Frau Biehl wurde vermißt. Ein Kamerad hatte ihr geschrieben, daß er zum letztenmal in einem brennenden Dorf gesehen worden sei. Vielleicht war er nur in Gefangenschaft geraten, man wußte es nicht. Der Onkel begann das sechzehnte Jahrhundert zu kleben, in das er sich umso lieber verzog, als die Fähnchen nicht recht vom Fleck kommen wollten. »Du mußt jetzt endlich etwas verdienen«, wiederholte die Mutter zu Ginster.

IV
    Das Büro des Architekten Valentin lag im Ostend F.s, nahe der Altstadt, in einer langen, von Juden und christlichen Kleinbürgern bevölkerten Straße. Glatte Hausfronten, dahinter Höfe, aus denen die Juden quollen. Sie trugen Kaftane und wallende Bärte, sie redeten zu zweit, als ob sie zu vieren gingen – Juden, die wie Imitationen wirkten, so echt sahen sie aus. Die breit angelegte Straße, durch die noch dazu Trambahnen fuhren, wurde von den Kaftanen künstlich verengt. Im Erdgeschoß des Valentinschen Hauses befand sich eine Schnapsbrennerei, mit einem Ausschank nach der

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