Ginster (German Edition)
Straße zu, aus dem bunte Flaschenbatterien glänzten. Das Lädchen hatte mit einer Bedürfnisanstalt die immer offene Tür und den regen Zuspruch gemein; in der Hofdurchfahrt rollten die Fässer. Branntweingeruch erfüllte das Treppenhaus, ein heller Geruch über ausgetretenen Stufen. Das Büro, das zur Privatwohnung Valentins gehörte, war nicht eigentlich ein Büro, sondern ein Eß- oder Schlafzimmer, dem die Einrichtungsgegenstände fehlten. Zeichentische und Pauspapierrollen, die in Herrn Allingers Atelier ein rechtmäßiges Dasein führten, hatten sich das verlassene Zimmer zum Schlupfwinkel erkoren. Der Eindruck war nicht abzuweisen, daß sie vor einem Doppelbett oder einem Büfett die Flucht hätten ergreifen müssen. Da ringsum Tapeten klebten, machte die Abwesenheit der Vorhänge den Raum nur noch kahler; sie schienen weggerissen worden zu sein, während Büros von Naturaus ohne Vorhänge sind. Zu dem übriggebliebenen Öfchen paßten gebratene Äpfel und Fliegen. Einem Brummer gleich surrte Herr Valentin kurz und dick durch den Raum. Er rauchte dunkle Zigarren und atmete schwer; über das Militäralter war er hinaus. Ginster wollte von ihm in Erfahrung bringen, warum er engagiert worden war, ob große Bauten vorlägen und was überhaupt. Herr Valentin brummte nur, es kostete ihn eine Überwindung zu sprechen. Die verlangten Antworten lagen in ihm wie Hemdenknöpfchen in einer vollen Reisetasche versteckt, und er benötigte Zeit, sie zu finden. Geringere Ladenumbauten sollten ausgeführt werden, alles nach innen, ohne Bedeutung. Fassaden waren im Krieg nicht gestattet. Daß Herr Valentin überhaupt eine Fassade errichtete, konnte sich Ginster nicht denken; er vermied weite Flächen und bevorzugte Ecken zum Brummen. An einem der ersten Montage fragte ihn Ginster, ob er gestern bei dem strahlenden Wetter draußen gewesen sei. Ginster selbst machte sich nicht viel aus dem Wetter, wenn es strahlte, aber es war ein gutes Gesprächsthema, und die meisten Leute schätzten das Strahlen. »Ich gehe wenig spazieren«, erklärte Herr Valentin. Es ergab sich, daß er nicht aus der Altstadt herauszubringen war, in deren Nähe er sich angesiedelt hatte. Sie besaß Laubengänge und verbogene Gassen, die zum Glück immer teilweise im Schatten lagen. Wäre sie überdacht wie ein Kramladen gewesen, hätte sich Herr Valentin noch wohler in ihr gefühlt. Der Krieg war ihm zu geräumig, ein Palast mit riesigen Vorhallen, in denen man Platzangst bekam. Paläste ließen sich nicht zwischen Tapeten entwerfen, die sich immer warm anfühlten und eher zum Ausbrüten eines Gewimmels verlockten. In dem einen Laden, den Ginster umzuändern hatte, war eine neue Galerie anzulegen. HerrValentin dachte nur an die Treppe, die eingebaut werden mußte: daß sie nicht zu viel Stufen hätte und schmal genug ausfiele, wenn möglich mit Krümmungen und einem Verschlag unter dem Podest. Der herausgeschundene Verschlag bereitete ihm größere Freude als die offene Galerie, die sich nach Metern berechnete. Auch Ginster liebte kunstreiche Verschläge, aber nicht aus Sparsamkeitsgründen, sondern der Überraschungen wegen, die sie gewährten. Man ging an einer Wand vorbei, die keine Unterbrechungen enthielt, und plötzlich erschlossen sich Höhlen in ihr. Selbst wenn Herr Valentin mit dem Zollstock, den er stets in der Hintertasche trug, dem Krieg hätte beikommen können, wäre doch das Ergebnis seiner Messungen nicht ausgepackt worden. Er war, wie Ginster bald erfuhr, Beigeordneter des Städtischen Hochbauamts und zählte zu den Obmännern des Architektenvereins. Die Ehrenämter brachten nichts ein, mochten nur allenfalls zu praktisch verwertbaren Beziehungen führen. Wichtiger war Herrn Valentin noch, daß er als Inhaber solcher Posten sich zu einer öffentlichen Person erhob, die Vertrauen beanspruchen durfte. Vielleicht hatte er ursprünglich das Vertrauen um jener Beziehungen willen erlangen wollen; inzwischen war ihm aber sein Genuß zur Gewohnheit geworden. Mit dem erworbenen Anstand hatte er sich langsam in die Ämter hineingewendelt wie eine Treppe; wobei es ihm nicht einmal allzuviel galt, daß man sie immer erklomm. Die staatsbürgerlichen Vertrauensposten legten Verpflichtungen auf. Niemals äußerte sich Herr Valentin, ohne zuvor prüfend um die Ecke zu sehen, und es gab lauter Ecken wie in den Straßen der Altstadt, die er gemächlich als Beigeordneter durchschritt. Der Krieg war ihm eine öffentliche Angelegenheit, die fortgesetzt in
Weitere Kostenlose Bücher