Girl Parts – Auf Liebe programmiert
Putzfrauen und Landschaftsgärtner, die auf dem Weg zur Arbeit in den Häusern am Seeufer waren. Gelegentlich zischte eine Hausfrau im teuren Minivan in Gegenrichtung vorbei, mit flimmernden Bordfernsehern zur Unterhaltung ihrer Kinder.
Westtown rühmte sich einer Altstadt, die auf eine Weise erhalten war, dass sie an die Fernsehkulisse von Erwachsen müsste man sein erinnerte. Die modernen Coffeeshops, Internetcafés und Apple-Stores waren allesamt verpflichtet, hölzerne Ladenfronten, frei hängende Ladenschilder und geweißte Sitzbänke vor der Fassade anzubringen.
Drinnen im Land’s Lunch Counter war es warm, die Luft war erfüllt vom Geruch einfacher Gerichte und dem beruhigenden Klappern der Essbestecke. Charlie setzte sich unter das Schwarzweißfoto des Hollywood-Schilds, 1932 aufgenommen, als noch »Hollywoodland« darauf stand. Die Kellnerin (Peg, laut ihrem Namensschild) trug Ohrringe in Gestalt von Totenschädeln. Sie brachte Charlie ein labberiges Sandwich mit Spiegelei und einen Kaffee.
Er hatte seine zweite Tasse zur Hälfte geleert, als ein Windstoß durch den Raum fuhr und ein Mädchentrio hereinwehte. (Wehen , dachte Charlie. War das nicht die Art und Weise, wie schöne Mädchen überall hinkamen? Auf einem klingenden, kleinen Zephyr?) Die drei nahmen auf der anderen Seite des Ganges Platz – Mädchen von Saint Mary, dem Aussehen nach zu urteilen. Sie hatten lange, glatte Haare und pastellfarbene Oberteile, wie Ausschneidepuppen aus demselben Set. Zwei trugen Rotkehlchen-Anstecker. Die hatte er schon mal gesehen, er konnte sich nur nicht erinnern, wo. Vielleicht in einem Theaterstück, überlegte er und kratzte sich an einer imaginären juckenden Stelle an der Schulter. Die Mädchen lachten, schwatzten und gestikulierten mit den Händen, dabei ignorierten sie Charlie vollständig, selbst als er sein Wechselgeld fallen ließ – so als trennte eine schalldichte Barriere die eine Seite des Lokals von der anderen. Er trank seinen Kaffee aus. Plötzlich war es zu warm, und er ertrug das dröhnende Radio nicht mehr.
Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße zum Elektroladen. Der magere Angestellte fand ein Paar Transistoren im Hinterzimmer, so alt, dass das Preisschild bereits abgefallen war. Er schätzte ihren Wert – »Sagen wir, zwei Dollar?« –, und Charlie verstaute die kleine Schachtel mit den verknautschten Ecken in seiner Jacke.
Während seiner Heimfahrt begann es leicht zu regnen. Eiskalte Tropfen stachen ihm in Gesicht und Hände. An der Gabelung hielt sich Charlie links in der Absicht, den See zu umfahren. Er dachte über die Mädchen im Lokal nach. Er dachte über seinen Vater nach. Er dachte über die Blätter nach, die auf der Oberfläche der Pfützen schwammen und so wenig Substanz hatten, dass sie nicht einmal sanken.
Charlie radelte an den großen Häusern vorbei zur Cliff Road hinauf, die über den Felsvorsprung führte, der entlang der nördlichen Spitze des Sees aufragte. Seine Beine brannten, während er sich langsam die Steigung hinaufarbeitete. Einen Fuß nach unten, dann den anderen. Die alte Gangschaltung quälte sich ächzend ab. Das Wasser glänzte schwarz im Regen.
Er war knapp dreihundert Meter von der Spitze des Sees entfernt, als er es sah – ein rotes Aufblitzen mitten im Grau. Zuerst dachte er, es sei eine Person, die stehen geblieben war, um die Aussicht zu genießen, aber als er näher kam, sah er, dass sie sich auf der falschen Seite der Leitplanke befand. Sie stand am Rand des Felsvorsprungs. Eine Frau, die hinunterspringen wollte.
Charlie hielt sein Fahrrad an. Sie war jung, vielleicht in seinem Alter, irgend so ein reiches Mädchen mit übertriebenem Hang zur Theatralik, das zu seinem sechzehnten Geburtstag kein Pony bekommen hatte. Der Wind verfing sich in ihren Haaren und blies sie hin und her wie eine Kerzenflamme. Ihr Kleid flatterte.
»Hey!«, rief er. Seine Stimme wurde zu ihm zurückgeworfen, Felsen und Wasser ließen sie dünn klingen. Hey!
Das Mädchen schaute hoch, mit leerem, abwesendem Blick. Charlie stieg von seinem Rad und ließ es fallen.
»Warte einen Moment!« Das Echo kam zurück. Warte einen Moment!
Seine Schuhe klatschen auf den nassen Asphalt. Er spürte sein Herz in der Kehle und hinter den Augen. Sein Atem ging stoßweise, flach und hart wie aus Stahl. Oh Gott, lass sie nicht springen. Bitte lass sie nicht springen.
»Warte!« Warte!
Sie schaute zum Wasser hinunter. Er war noch fünfzig Schritte entfernt.
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