Girl
wieder meinen eigenen Weg und verlor mich in der Menge der Samstagnachmittag-Shopper.
Schließlich landete ich in einem Pub an der King’s Road. Ich musste inzwischen einige Stunden unterwegs gewesen sein, weil ich trotz des Anoraks gründlich durchgefroren und meine Hose vom Regen pitschnass war. War mir nur recht. So merkte keiner, dass ich mich nass gemacht hatte.
Ich blieb den ganzen Abend in der Ecke hocken, die Jacke bis oben zugezogen und die Schultern nach vorn gebeugt, damit auch ja keiner was merkte. Ich ging in Gedanken noch einmal alles durch, was ich seit der Einlieferung ins Krankenhaus mitgemacht hatte, in der Hoffnung, wenigstens einen Hoffnungsschimmer, ein winziges Anzeichen dafür zu finden, dass mein weiteres Leben doch noch etwas anderes sein könnte als ein großes Stück Scheiße.
Während ich grübelte und dabei immer trübsinniger wurde, kippte ich ein Pint nach dem anderen zusammen mit etlichen Whiskys in mich hinein, bis ich dermaßen abgefüllt war, dass ich nicht einmal mehr eine Tüte mit trocken gerösteten Erdnüssen aufbekam. Als ich mein nächstes Pint haben wollte, sagte der Mann hinterm Tresen: »Ich glaube, du hast genug, mein Junge. In fünf Minuten ist Feierabend. Zeit für dich, nach Hause zu gehen.«
Ich glaube, er erwartete insgeheim Handgreiflichkeiten. Aber ich war dazu weder aufgelegt noch physisch in der Lage, und so stolperte ich einfach wieder auf die Straße und machte mich auf den Heimweg. Inzwischen goss es wie aus Kübeln, und ein Strahl eisigen Wassers lief mir über die Kappe hinten in den Kragen.
Das gab mir den Rest. Während ich zum Embankment hinuntertorkelte, blickte ich zum Himmel hinauf und brüllte: »Jetzt zufrieden, du großes, kosmisches Arschgesicht? Einmal wieder so richtig gelacht? Regnet’s deshalb? Bepisst du dich vor Lachen?«
Er gab keine Antwort. »Sieh nur, was du mit mir gemacht hast. Sieh sie dir an«, schrie ich, während ich meine Brüste packte und sie nach oben hielt. »Was ist daran so lustig, eh? Na, los doch, sag schon … wo ist der verdammte Witz?«
Das himmelschreiende Unrecht übermannte mich. »Warum ich?« heulte ich. »Das ist unfair. Ich habe doch niemandem was getan? Was habe ich denn verbrochen? Was habe ich dir denn getan?«
Inzwischen war ich unten am Fluss angekommen, direkt neben der Battersea Bridge. Ich stolperte über die Uferstraße, jede Ampel ignorierend und halb hoffend, ein Wagen würde mich mitnehmen und mir die Mühe ersparen, die Sache selbst erledigen zu müssen. Aber alle hielten mit quietschenden Reifen, drückten wie wild auf die Hupe oder riefen mir durch das Seitenfenster die wüstesten Beschimpfungen hinterher. Als ob mir das nach so einem Tag noch etwas ausmachen konnte.
Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich hörte, wie der Fluss mir praktisch zurief, mich aufforderte, mich in die Fluten zu stürzen. Inzwischen gab es kaum noch Verkehr. Es gab nur noch mich, die Brücke und das Wasser darunter.
Nachdem ich die Brücke etwa zu einem Drittel überquert hatte und mich am Fuße eines der Träger befand, an dem die Spannseile befestigt sind, zog ich meine Jacke aus und band sie an einen der Lampenbögen, damit man später wusste, wer hier über die Brüstung gegangen war. Dann begann ich die Balustrade zu erklimmen, was angesichts meines volltrunkenen Zustands und des Regens, der nach wie vor in Strömen fiel und alles glitschig machte, ein ziemlicher Kampf war – ganz abgesehen von meinen Klamotten, die mir pitschnass am Leib klebten.
Schließlich gelang es mir, mich am Träger hochzuziehen. Da stand ich also in voller Größe, wobei ich eine möglichst stolze Figur abzugeben versuchte. Ich wollte mit Stil und erhobenem Haupt aus dem Leben scheiden.
Ich war gerade dabei, mich zu sammeln, tief durchzuatmen und mich auf den Sprung vorzubereiten, als ich wenige Schritte von mir entfernt das Geräusch eines anhaltenden Wagens hörte. Ich drehte den Kopf und sah, wie ein dürrer, glatzköpfiger Mann die Fahrertür öffnete und praktisch vor meinen Füssen aus dem Wagen kippte.
Er muss genauso knülle gewesen sein wie ich, denn er konnte sich kaum auf den Beinen halten, als er auf mich zusteuerte, ein echtes Schreckgespenst, mit ein paar dünnen Strähnen grauen Haars, die ihm quer über sein vernarbtes Gesicht hingen. Dann blickte er zu mir auf und sagte: »Tu’s nicht! Um Gottes willen, du himmlisches Geschöpf, wirf dein Leben nicht so unbedacht fort!«
Im Augenblick war ich nicht in der
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