Girl
schlucken, die mich heulen lassen wie eine Frau. Aber ein für alle Mal, ich bin kein verdammtes Weibstück.«
»Na ja«, sagte Clive, »wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, ich denke, darüber ließe sich streiten. Ich meine, Bradley, überlegen Sie nur mal: Sie bekommen Ihren alten Körper nie mehr zurück. Sie hatten ein zweites Gutachten, vielleicht können Sie auch noch ein drittes einholen. Und vielleicht, ja vielleicht gibt es irgendeinen Chirurgen in Amerika oder der Schweiz, der für Sie einen künstlichen Schwanz fabriziert und Ihnen kleine Plastikkugeln in Ihre künstlichen Hoden stopft. Aber ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen. Welche Möglichkeit gäbe es noch? Yeah, Sie könnten natürlich einen weiteren Selbstmordversuch starten. Vielleicht klappt’s ja diesmal. Aber was ist das schon für eine Lösung? Nur Feiglinge drücken sich. Und überhaupt, wo doch die Alternative vor Ihnen liegt. Man hat Ihnen den Körper einer Frau verpasst. Jetzt brauchen Sie noch den passenden Geist dazu, und das ist reine Willenssache.«
Clive, der die ganze Zeit auf der Bettkante gesessen hatte, beugte sich jetzt ein Stück vor und blickte mir direkt in die Augen, als wollte er mich hypnotisieren.
»Der verantwortliche Chirurg«, sagte er, »Mandelson, er hat doch gesagt, er könne Ihr Gesicht so hinbekommen, dass niemand je vermuten würde, Sie wären ursprünglich ein Mann gewesen, nicht wahr? Sie haben selbst gesagt, durch diese Pillen heulen Sie wie ein Weibsbild. Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass Sie nicht bald schon genau wie eins denken?
Fragen Sie Charlie, der wird Ihnen auch sagen, dass das die perfekte Lösung ist. Was haben Sie zu verlieren? Im Moment sind Sie eine Ein-Mann-Freak-Show. Aber wenn Sie erst eine Frau sind, kann man Ihnen so leicht nichts mehr anhaben.
Wenn wir die Sache richtig anpacken, haben wir die öffentlichen Sympathien im Nu auf unserer Seite. Danach schalten wir um auf die Glamour-Perspektive – natürlich nach der Gesichtsoperation –, indem wir Sie konsequent als feministische Ikone in den Hochglanzmagazinen und auf Kanal 4 rausbringen. Sie wissen schon: Männer ruinierten ihr Leben. Herrgott, der ›Guardian‹ frisst uns aus der Hand.«
Es war offensichtlich, dass Charlie auf seiner Seite stand.
»Er hat völlig recht, wissen Sie. Sie müssen es bloß akzeptieren. Sie werden nie mehr ein Kerl sein. Da können Sie es genauso gut als Frau versuchen.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Vielleicht hatten sie ja recht. Zweifellos konnte ich mich nicht länger in der Hölle aufhalten, gefangen zwischen dem einen und dem anderen Geschlecht. Man brauchte mich bloß anzusehen. Mike hatte mir in Windeseile eine Tasche vollgestopft, während er auf das Eintreffen des Krankenwagens gewartet hatte. Eins musste man ihm lassen, er hatte an alles gedacht, Nachthemd, Slips, Büstenhalter und Rasierzeug. Da hockte ich also auf einer Frauenstation, eingehüllt in weiße Seide und mit einem Dreitagebart im Gesicht.
»Vielleicht haben Sie ja recht«, sagte ich. »Ich kann mich im Augenblick nur noch nicht ganz dazu durchringen. Aber wenn die ›Mail‹ jemanden für ein Interview vorbeischicken und sich für die Geschichte mit der armen, misshandelten Frau erwärmen sollte, würde ich vermutlich kaum nein sagen. Alles andere lieber, als der böse Bradley zu sein, den die Tory-Parlamentarier am liebsten übers Knie legen würden.«
»Wunderbar«, sagte Clive. »Ich wusste, Sie würden es einsehen. Und was uns angeht, Charlie, sollten wir unverzüglich über das Geschäftliche reden. Wenn meine Klientin ihr Innerstes dem britischen Publikum eröffnet, sollte Sie dafür auch fürstlich entlohnt werden.«
19. Dezember
Die ›Daily Mail‹ schickte Lynda Lee-Potter vorbei, wie Clive Horrocks es prophezeit hatte. Während des Interviews kamen mir mehrmals die Tränen, ganz besonders, als ich auf den Zwischenfall in der Herrentoilette zu sprechen kam, und Lynda war davon natürlich ganz begeistert, weil damit klar war, dass die Geschichte der ›Sun‹, die ein billiges Flittchen aus mir gemacht hatte, erstunken und erlogen war. Sie brachten es als doppelseitige Story unter der Überschrift ›Warum ich mich für ein Leben als Frau entschieden habe‹.
Diesmal war ich das fragile Wesen, gefangen in einem tragischen Niemandsland zwischen den Geschlechtern. Und ich hatte am eigenen Leib die qualvolle Erfahrung gemacht, die jeder Frau zustoßen konnte, wenn sie je in
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