Girl
die Hände einer Horde gewalttätiger, volltrunkener Männer geriet.
Ich muss zugeben, das gab mir zu denken. Und als ich mir vorstellte, wie ich da auf dem Topf in Stamford Bridge hockte, mit meiner durchnässten Hose um die Knöchel, begann ich mich zu fragen, warum ich wie die johlende und grölende Menge da draußen sein wollte.
Ich dachte an den Tag zurück, an dem Mum mit den ganzen Wäschepackungen bei mir im Krankenhaus aufgekreuzt war, und wie ich die Models auf der Hülle angesehen hatte. Vor die Wahl gestellt, ein betrunkener Fußball Rowdy, der lauthals wildfremde Menschen anpöbelt, oder eins der Mädchen auf den Slip Packungen zu sein, müsste ich ernstlich überlegen … vielleicht wäre ich mit ihrer Rolle wirklich besser bedient.
Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das am Rand des Schwimmbeckens steht und nicht so recht weiß, ob es den Mut hat hineinzuspringen. Ach was, dachte ich, auf die Plätze, fertig … und dann rief ich Mr. Mandelson an und erzählte es ihm. Die Hälfte des Weges hatte ich ja bereits hinter mir. Nun war es an der Zeit, das Ziel anzusteuern.
20. Dezember
Heute war ich bei Dr. Mandelson. Wir trafen uns in seinem Beratungszimmer. Es war wie ein riesiges Büro, mit Drucken aus der Zeit des viktorianischen London an der Wand, einem großen alten Holzschreibtisch neben dem Fenster – an dem saß Mandelson – und ein paar Stühlen im Halbkreis darum verteilt. In einer Ecke des Raums hatte er eine Art Video-Set installiert. Es befanden sich noch zwei weitere Personen im Raum, beides Frauen.
»Guten Morgen, Bradley«, sagte Mandelson. »In wenigen Augenblicken werde ich Sie in einige der medizinischen Prozeduren einweihen, die mir in Ihrem Fall geeignet erscheinen, zuvor jedoch möchte ich Ihnen zwei sehr wichtige Personen vorstellen, mit denen ich in der Geschlechtsdysphorischen Abteilung unseres Krankenhauses zusammenarbeite.«
Er deutete mit der Hand auf die blonde Frau mit großer Schildpattbrille. »Dr. Jenny Fielden ist meine beratende Psychologin. Sie arbeitet hauptsächlich in der Tavistock Klinik im Norden Londons, aber sie unterhält auch bei uns eine regelmässige Praxis, in der sie Patienten beurteilt und berät, die in der Hoffnung auf eine Geschlechtsumwandlung hierherkommen.«
Wir lächelten uns auf eine eher geschäftsmäßige Weise an.
Mandelson wies auf die zweite Frau, die etwa Mitte Fünfzig sein musste, etwas untersetzt war und ihr dunkles Haar zu einem Knoten aufgetürmt hatte. Sie machte einen leicht zerstreuten Eindruck, aber ihr Gesicht hatte etwas ausgesprochen Sanftes und Mütterliches, genauer gesagt beinahe schon Großmütterliches. Ich erinnere mich noch, dass ich über ihre reine, zarte Haut und ihre bezaubernden blauen Augen staunte. Weiß der Himmel warum – früher wäre mir so etwas niemals aufgefallen.
»Und das«, sagte Mandelson, »ist Caroline Partridge …«
»Sagen Sie Carrie zu mir«, unterbrach die Frau.
»… zuständig für die sogenannte feminine Akklimatisation.«
»Mit anderen Worten«, sagte Carrie, »ich bin diejenige, die Ihnen verrät, wie Sie sich als Frau verhalten.«
Ich muss ein wenig entgeistert aus der Wäsche geschaut haben, denn sie fügte hinzu: »Sie haben doch eine Schwester, oder?«
»Klar«, sagte ich.
»Als Sie beide noch klein waren, haben Sie da mit den gleichen Dingen gespielt?«
»Sie machen wohl Witze. Ich war mit meinen Freunden draußen auf dem Fußballplatz. Und sie war ein richtiges Puppenkind, wenn Sie verstehen. Zog ständig ihre Barbies an und aus und lud ihre Freundinnen ein, um Friseursalon zu spielen.«
»Hat sie hin und wieder auch Mutters Make-up ausgeliehen?«
Ich lachte. »Yeah, sicher doch. Ich kann mich noch an das eine Mal erinnern, als sie die Treppe herunterkam – sie kann damals nicht älter als fünf oder sechs gewesen sein – und sich ihr ganzes Gesicht mit Lippenstift verschmiert hatte. Dazu hatte sie einen von Mutters Hüten auf und trug ihre teuersten Schuhe. Mum ist fast durchgedreht.«
»Ich möchte Ihnen damit nur zeigen«, sagte Carrie, »dass Ihre Schwester über Jahre Dinge ausprobiert hat, die Frauen tagtäglich tun, so dass sie für sie zu einer Selbstverständlichkeit werden, etwa sich zu schminken oder sich die Haare zu machen. Nur als kleines Beispiel: Wissen Sie, wie man mit Lockenwicklern umgeht?«
»Nein, wie käme ich dazu!« Ich wollte schon hinzufügen: »Halten Sie mich etwa für eine Tunte?« Ein Satz, den ich noch rechtzeitig verschluckte.
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