Girl
nächsten Moment beim Thema Männer gelandet waren.
»Hast du schon einen Boyfriend?« fragte Melanie, als der Zug Baron’s Court verließ.
»Nein. Ich denke, ich bin noch nicht so weit. Offen gesagt, kann ich mich überhaupt nicht mit dem Gedanken anfreunden, Männer attraktiv zu finden.«
»Lass dir gesagt sein, darauf brauchst du nicht lange zu warten, weil die Männer hinter dir her sein werden.«
»Aber ich bin ja nicht mal eine echte Frau.«
»O Schwester, grad darauf sind die ganz besonders scharf. Sogenannte Transi-Ficker, verheiratet, haben Kinder, richtig kleine Spießbürger. Die ganze Zeit flüstert ihnen eine Stimme ins Ohr: Hey, Mann, warum schiebst du nicht mal ne Knaben-Nummer? Natürlich können sie vor sich selbst nicht zugeben, vielleicht schwul zu sein. Wer? Was? Ich? Niemals! Also nehmen sie den Mittelweg. Eine, die nach Frau aussieht, aber ein verruchtes, kleines Geheimnis hat. Du hast allerdings leider keine Ausrüstung mehr, schon möglich, dass sie da kein Interesse haben.«
»Scheiße, ich hoffe nicht. Wenn ich was mit Männern haben sollte – und als Frau lässt sich das wahrscheinlich nicht vermeiden -«
»Nicht unbedingt…«
»… dann kommt für mich nur ein netter, fester Boyfriend in Frage, genauso wie ich früher feste Freundinnen hatte.«
»O Honey, das wollen wir doch alle. Wir alle suchen den netten, anständigen Kerl, der uns behütet und uns vor der bösen, kalten Welt da draußen beschützt.«
»Hast du einen Boyfriend, Mel?«
Ihr Blick senkte sich, und mit einem Mal waren ihr Humor und ihr spleeniger Akzent verschwunden, und ich sah und hörte bloß noch den armen, alleingelassenen Winston aus Harlesden, der da in einer billigen Nylonjacke und einem Röckchen aus dem Supermarkt, das notdürftig seinen Schwanz verdeckte, vor mir in einer Bahn der District Line saß. »Nein«, sagte er, »leider nicht. Ich hatte einen, aber momentan bin ich solo. Also ich muss los, hier muss ich raus. Wir sehen uns nächste Woche, o.k.?«
Und schon war er aufgestanden und aus dem Zug. Ich sah ihm nach, wie er den Bahnsteig entlanglief und sich dabei wieder in Melanie verwandelte, langsam in ihren Gang verfiel und ihre Bewegungen annahm, bis die Illusion perfekt war und diese sexy, dunkelhäutige Puppe mit den scharfen Stiefeletten und schwingendem Röckchen auf den Rolltreppen zum Sloane Square verschwand.
25. Februar
Ich habe seit Wochen kein Tagebuch mehr geführt, obwohl ich weiß Gott wie viele Stunden damit verbracht habe, sämtliche seit November besprochenen Bänder abzutippen. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass mein Leben ziemlich normal verläuft, so dass es nicht viel zu erzählen gibt. Hätte man mir allerdings vor sechs Monaten gesagt, was ich heute so treiben würde, hätte ich es ganz bestimmt nicht für normal gehalten. Vielleicht sollte ich also doch alles auf Band festhalten.
Ich werde einfach die nächste Woche Tag für Tag durchgehen, angefangen beim heutigen Sonntag.
Heute Morgen um zwölf bin ich wie gewöhnlich ins Fitnessstudio zur Gymnastik gegangen. Als ich das erste Mal in den Frauen-Umkleideraum ging, hatte ich halb damit gerechnet, rausgeschmissen zu werden, aber niemand beachtete mich.
Der arme alte Bradley hätte einen Herzinfarkt bekommen, wenn er die ganzen Frauen ohne einen Fetzen am Leib zu Gesicht bekommen hätte. Ich musste mich schwer zusammenreißen.
Wohlgemerkt, es werden auch so jede Menge abschätziger Blicke getauscht, nur geht das sehr viel subtiler als bei Männern vor sich. Frauen im Fitnessstudio betrachten sich unablässig von oben bis unten, heimlich, so dass ein Außenstehender kaum etwas davon mitbekommen würde. Aber wenn man in der Umkleide ist und nur noch im BH und Slip dasteht, spürt man, dass ihre Blicke an einem lecken wie Katzenzungen an einem Milchschälchen, um genau Maß zu nehmen und herauszufinden, wo man in der Hackordnung steht.
Es gibt da verschiedene Klassen von Leuten. Es erinnert mich gerade an die Kategorien, die wir in der Werbeabteilung von ›Practical Motoring‹ entwickelt haben, als wir herauszufinden versuchten, was für Leute unsere Zeitschrift kaufen und durch welche Anzeigen sie sich besonders angesprochen fühlen.
Wir unterschieden in der Redaktion zwischen Sonntagswäschern (der stinknormale Familienpapa), Bleifüssen, Motorfricklern, klassischen Car-Queens und so weiter. Und wie sieht’s im Studio aus? Bei den Männern ist die Sache einfach. Da gibt es die Hänger und die
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