Girl
irgendwo zwischen Vogelscheuche und Mäuschen. Es gibt Tage, da kümmert mich gar nichts, oder ich habe vergessen zu waschen, und dann grapsche ich die nächstbeste Flanellhose und ein T-Shirt. An anderen Tagen bin ich besser organisiert und kleide mich vorteilhafter in Trikot und Gymnastikhose. Meistens jedoch muss ich Make-up auflegen, ob es mir passt oder nicht, damit man auch ja meine Bartstoppeln nicht sieht.
Wenn ich mein Trikot dabeihabe – wie zufälligerweise heute – und nach dem Kurs in den Kraftraum gehe, um eine zusätzliche Viertelstunde was für meine Taille zu tun, weiß ich, dass ich von den anwesenden Männern begutachtet werde. Nach Auskunft der Angestellten geht die Trainings Leistung um 20% rauf, sobald eine attraktive Maus den Raum betritt, weil sämtliche Männer ihr Bestes geben, um Eindruck zu schinden. Ich glaube nicht, dass ich schon zu solchen Höchstleistungen beflügle, aber ich spüre, dass einige zumindest Interesse bekunden.
Die Frage ist nur, was soll ich davon halten? Ich weiß darauf keine Antwort. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich eine Antwort darauf will. Am besten, ich frage Dr. Fielden.
Ich muss noch was anderes mit ihr besprechen. Der Kurs über weibliche Akklimatisation geht mir immer mehr gegen den Strich. Nicht wegen der übrigen Teilnehmer. Die älteren Frauen sind viel entspannter, nachdem sie sich an mich gewöhnt haben, und Melanie ist jedes Mal ein Brüller. Nein, es ist wegen Carrie Partridge. Ich weiß, sie meint es nur gut, aber sie hat so altmodische Vorstellungen darüber, wie eine Frau zu sein hat.
Heute erschien ich in Leggings, Pulli und Reebok-Turn-Schuhen zum Kurs, und Carrie legte gleich los: »Wirklich, Jackie, Sie müssen versuchen, sich weiblicher zu geben. Könnten Sie nicht hin und wieder ein Kleid tragen? Oder im Bereich Fußbekleidung etwas dezenter auswählen?«
Ich versuchte deutlich zu machen, dass jede Menge Mädchen so rumlaufen wie ich. »Ich war heute Mittag beim Training, und wir waren alle zusammen in der Umkleide, und niemand hatte an mir irgendetwas auszusetzen«, sagte ich. »Sie verlangen von uns, dass wir in Trippelschrittchen gehen und unsere Knie zusammenpressen, wenn wir aus dem Wagen steigen, und ich find das so aufgesetzt. Ich will kein zierliches Dämchen sein. Ich will ich selbst sein.«
»Es tut mir leid, dass Sie so denken«, sagte sie, und ich merkte, dass ich sie ziemlich verärgert hatte.
»Nein, der Fehler liegt bei mir«, sagte ich. »Ich wollte nicht unhöflich sein, bestimmt nicht. Aber irgendwie … ist eben alles ein bisschen schwierig, glaube ich.«
Carrie schwenkte wieder in ihre alte Queen-Mum-Rolle ein. »Wenn Sie es sagen, Jackie.«
26. Februar
Heute war wieder Stoppeltag. Morgen muss ich zur Elektrolyse, also kam mir heute keine Klinge ans Kinn. (Dafür habe ich meine Beine gründlich blankgeschabt.) Ich habe den Tag im Haus verbracht und an den Tagebuchbändern gearbeitet, und heute Nachmittag – etwa gegen vier Uhr, als es bereits dämmerte – bin ich zum Joggen im Battersea Park gewesen, mit gesenktem Kopf und übergezogener Kapuze, damit bloß niemand mein Gesicht sehen konnte.
27. Februar
Heute Morgen hatte ich eine zweistündige Elektrolyse-Behandlung. Meine Oberlippe ist jetzt sauber, meine Augenbrauen haben eine neue Form, und heute hat sie mein Kinn in Angriff genommen. Es ist nicht weniger schmerzhaft als am Anfang, aber zumindest sehe ich erste Erfolge.
Der Termin war um elf. Hinterher traf ich mich kurz mit Lorraine auf ein Sandwich und ein Glas Mineralwasser, und dann ging’s gleich weiter zur Sprachtherapie nach Marylebone.
Meine Therapeutin heißt Maggie Prince. Heute war meine fünfte Sitzung. Beim ersten Mal durfte ich nur summen, immer nur »mmmm …«in verschiedenen Tonhöhen und Bereichen im Mund- und Rachenraum. Ich verstand nicht recht, wozu das gut sein sollte. »Kommen wir auch noch zum Sprechen? Oder wollen Sie mir beibringen, wie man das Morsealphabet summt?«
»Geduld … Geduld«, sagte Maggie.
Ich hatte immer gedacht, der einzige Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sprechweise wäre die unterschiedliche Tonlage. Dementsprechend ging ich davon aus, dass die Therapeutin meine Stimme nur ein paar Noten die Skala raufdrücken würde, und fertig war der Lack. Aber die Sache ist doch um einiges komplizierter, was ich natürlich mit Freuden registrierte.
Es geht nicht darum, sich eine piepsige Stimme zuzulegen. Es ist vielmehr so, dass man seine
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