Girl
anderen Teilnehmer an Carrie Partridges Kurs das wüssten, würden sie mich noch schiefer ansehen, als sie es ohnehin tun. Wir treffen uns einmal die Woche sonntags abends im Keller eines Friseursalons in Chiswick. Früher fanden die Kurse in St. Swithin’s statt, aber das neue Management befand, sie seien nicht kosteneffizient genug. Na, klar doch, für die jährlichen Kosten eines Trainingskurses für Frauen konnte man besser eine neue Halbtagsstelle in der Buchhaltung einrichten.
Keine Frage, wir sind schon ein ziemlich seltsamer Haufen. Insgesamt sind wir zu fünft, alle in unterschiedlichen Stadien der Geschlechtsanpassung. Drei sind eine ganze Ecke älter als ich. Bei ihrem Anblick fragt man sich, warum sie sich für die Operation entschieden haben, weil sie so absolut normal aussehen – wenn das das richtige Wort ist – und so durch und durch männlich. Aber sie legen sich mächtig ins Zeug.
Kitty sieht aus wie ein Maurer mit Tina-Turner-Perücke, was nicht weiter verwundert, da genau das ihr gelernter Beruf ist. Sie eiert auf Zehn-Zentimeter-Pfennigabsätzen durch die Gegend, trägt haarsträubende, schwarze Minis aus Nylon und Make-up, das sie sich vermutlich mit einer Maurerkelle ins Gesicht klatscht.
Estelle war früher Qualitätsprüfer bei einem Plastikunternehmen, und ihr wurde gekündigt, als sie ihrem Boss erzählte, sie wolle ihr Geschlecht wechseln. Ihre Frau hat sie gleich mit verloren. Sie lebt ohne Kontakt zu ihren Kindern in einem Einzimmerapartment und wartet sehnsüchtig auf ihren großen Tag. Sie ist groß, spindeldürr und hat einen kleinen Bierbauch. Das arme Ding ist kahl wie eine Billardkugel, aber sie ist fest entschlossen, ihre letzten Reserven für eine Fahrt nach Österreich zu opfern und sich dort eine Haarverpflanzung machen zu lassen. In Wien soll man darin unschlagbar sein.
Doris – offenbar hatten alle die gleichen Probleme mit der Namensfindung wie ich – ist die Mutterglucke in Person. Wenn sie in ihren zierlichen Schühchen und ihrer Grossmutterkluft durch die Gegend stolziert, habe ich sie immer in Verdacht, sich Carrie zum Vorbild genommen zu haben. Oder Miss Marple.
Als Doris noch Duncan hieß, war sie Rektor an einer Gesamtschule für Jungen gewesen. Jetzt ist sie Rektorin an einer kleinen Grundschule und die Liebenswürdigkeit in Person. »Das machen die Kinder, wissen Sie«, sagte sie beim gestrigen Treffen. »Man kann gar nicht unglücklich sein, wenn man Kinder um sich hat.«
Dann ist da noch Melanie, und die ist eine Nummer für sich. »Hey, Schwester, wieso läufst du mit diesen Bauklötzen rum?« sagte sie, als ich mit meinen neuen Profil-Boots zur Tür reinkam. »Oweia, Liebling, mit den Zehn-Tonnen-Tretern hinterlässt du bestimmt fette Löcher im Asphalt.«
Melanie warf ihr langes schwarzes Haar in den Nacken und lachte dröhnend. Sie sieht mindestens so gut aus wie Naomi Campbell und lässt Ru-Paul wie ein schüchternes, introvertiertes Mauerblümchen aussehen. Sie arbeitet als Tänzerin bei einem West-End-Musical. Bei den anderen dreien mag man sich kaum vorstellen, dass sie jemals als Frauen durchgehen werden. Bei Melanie kann man kaum glauben, dass sie jemals ein Mann gewesen sein soll.
Aber nichtsdestotrotz wurde Melanie Kim, die heute ein Dasein als Showgirl fristet, als Junge namens Winston Kimberley in Harlesden geboren. Ihre Baumwollpflückerstimme ist genauso echt wie ihre Implantate. Trotzdem glaube ich, dass wir Freundinnen werden können. Ich hoffe es jedenfalls. Wir sind die Jüngsten und – Jesses ist das komisch, so was zu sagen – auch die Hübschesten (obwohl sie mir in der Hinsieht meilenweit voraus ist). Und es sieht auch so aus, als wären wir die beiden schwarzen Schafe im Kurs.
Aus der Rolle zufallen gehört für Mel einfach zum Leben dazu. Sie nimmt an diesem Kurs teil, weil es innerhalb der zweijährigen Probezeit vorgeschrieben ist. So nennt man die Zeit, in der man als Frau leben muss, bevor man operiert wird. Aber Melanie braucht niemanden, der ihr vormacht, wie man sexy oder feminin aufzutreten hat.
Nach dem Kurs gingen wir zusammen die Chiswick High Road hinunter zur U-Bahn-Station. Besser gesagt, ich ging. Melanie – die hochhackige, bis zu den Knöcheln reichende Wildlederpumps trug, dazu einen winzigen Kilt in scharlachrotem Schottenkaro (weiß Gott, wo sie ihr Anhängsel lässt) – kurvte und stiefelte den Bürgersteig entlang.
Sie glich einer stolzen Raubkatze, die durch ihr Revier schlich. Bei mir hätte es
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