Girlfriend in a Coma
Abschlußballpartnerin zu sichern. Viel Glück, Linus: In deiner Zukunft sehen wir viel Zink.
»Auf welchem Planeten sind wir?« / zwei Wochen hintereinander das gleiche Hemd / »Ähmm ...« / Foto-AG / Kleenex / Wollmäuse / Fusseln
Ich kannte Karen schon mein ganzes Leben, denn das Holzhaus ihrer Familie lag gleich unterhalb des unseren (im Fake-Tudor-Stil gebauten) an der Rabbit Lane. Wir waren bereits in der Grundschule befreundet, und als wir auf die High-School kamen, waren wir eines dieser Pärchen, bei denen sich niemand mehr daran erinnert, ob es jemals kein Pärchen war.
Karen: Was in ihrem Jahrbuch-Profil stand, entsprach der Wahrheit: Sie hatte für jeden ein Lächeln übrig. Außerdem lachte sie in einer Tour - kein nervöses Kichern, sondern ein schallendes Comedy-Gewieher, das uns in ruhigen Restaurants gelegentlich ungewollt in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Sie fotografierte leidenschaftlich gern. In der Schule, im Park-Royal-Einkaufszentrum, auf Partys oder in der freien Natur war sie ständig am Knipsen: Möwen, kahle Bäume, nebelverhangene Berge und sich kräuselnde Wasseroberflächen - typisches Jahrbuchzeug. Doch wenn wir nach Fotos von Karen suchten, waren kaum welche zu finden; Das Wühlen in Kartons voller Teenagerbilder förderte nur eine klägliche Ausbeute zutage: hier ein linker Arm, dort ein halber Kopf; Beine, die an den Oberschenkeln abgeschnitten waren. Wir stellten fest, daß Karen ihr Leben lang unauffällig, aber effektiv alles daran gesetzt haben mußte, nicht fotografiert zu werden. All ihre angeblichen Mängel, die ihre Mutter ihr ohne Unterlaß einredete, gingen ihr nicht aus dem Kopf: Deine Nase ist zu dick; deine Haare sind zu glatt; du bist recht hübsch, aber keine Schönheit. Ihr Schulabschlußfoto war letztlich fast die einzige Ausnähme, das einzige Bild, das uns half, sie im Gedächtnis zu behalten. Im Lauf der Zeit tilgte das Foto langsam, aber sicher unsere tatsächlichen Erinnerungen an Karen - und wurde schlußendlich zur »offiziellen Version«: ein ovales Gesicht mit langen braunen, in der Mitte gescheitelten Haaren, die aalglatt von ihrem Kopf heruntertropften wie Wasser (eine Frisur, die Karen »Arschkopf« nannte); ein Hals, den sie für zu mager hielt, vom Rollkragen eines Pullovers verhüllt; und zarte, hübsche Züge; von denen keiner stärker hervorstach als der andere. Mit sanftem Blick schaut Karen in die Ferne. Sie sieht nicht uns an, die Betrachter, sondern nach links - hat sie schon den Ort vor Augen, an den sie am 15. Dezember ging? Vielleicht.
Was hatte Karen nur in jener Dezembernacht gesehen? Welche Zukunftsvisionen konnten sie so beunruhigen, daß sie sich in einen unendlich tiefen Schlaf flüchten mußte? Was für Bilder konnten ihr solche Angst machen, daß sie ihren Körper und unsere Welt verließ? Warum sollte sie mich verlassen wollen? Komm schon, Karen - Beb, Sugar Pops, Starbaby wir wissen alle, daß das Leben hart ist das haben wir ziemlich schnell kapiert. Du hast mir gesagt, in der Zukunft würden wir alle Zombies sein, lebende Tote. Das hast du gesagt. Sei fair, Karen: Sag uns, was du gemeint hast. Ich will eine Antwort. Wach auf, wach auf, okay?.Wir fahren irgendwohin, wo es still und trocken ist, und reden über Dinge, die uns am Herzen liegen. Wir fahren in die Stadt und trinken einen Orange Julius. Hey! - wir fahren in die Staaten und essen ein Steak, das so groß ist wie eine Matratze. Wir fahren nach Europa und trinken Champagner, und auf dem Weg machen wir in Grönland halt und besorgen uns Eiswürfel. Klopf-klopf. Wer ist da? Ich bin's, Karen. Kein Witz, keine Pointe - c'est moi. Würdest du bitte rauskommen? Oder mich reinlassen?
6
Einsamkeit macht Spaß
Karens Eltern:
Solange wir jung sind, gehen wir davon aus, daß Erwachsene sich nach einem strikten Erwachsenenkodex verhalten. Erst Jahre später dämmert uns, daß Mr. Phillips ein paar Häuser weiter manisch-depressiv war und seine Frau verprügelte; daß Mrs. Owens Leber aufgebläht war wie ein verseuchter Wasserball; daß Mr. Pulaski sich an all seinen Kindern vergriff und sie ihn deshalb eines Nachts zusammenschlugen und am Karfreitag mit dem Gesicht nach unten in einem Graben liegenließen. In ebendieser Tradition gebärdete sich Karens Mutter, Lois, auf eine Weise, die in jüngeren Augen ausgesprochen willkürlich wirkte, aber nichtsdestotrotz erwachsen.
Dazu fällt mir ein eher unspektakuläres Beispiel ein: Wenn ich als kleiner Junge zum
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