GK0061 - Der Gnom mit den Krallenhänden
Cascabel zuckte zusammen. Kein Zweifel, es waren Schritte.
Der Gnom glitt vorsichtig zur Seite und faßte das mörderische Beil mit beiden Händen.
Jetzt konnte der Unbekannte kommen…
***
Lautlos und mit angespannten Sinnen betrat Gilbert Ruminski die alte Mühle.
Es war stockfinster. Am Himmel hatten sich dunkle Wolken zusammengeballt und sorgten dafür, daß kein Mondlicht die Erde berührte.
Der Lehrer lauschte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit. Er wagte es nicht einmal, eine Taschenlampe einzuschalten, aus Angst, ihn könnte jemand überraschen.
Behutsam tastete er sich in den Innenraum der Mühle. Seine ausgestreckten Hände berührten die einzelnen Gegenstände, tasteten sie ab, damit er ihnen ausweichen konnte.
Spinnweben streiften Ruminskis Gesicht.
Eine Gänsehaut rieselte seinen Rücken herunter. Ruminski bekam auf einmal Angst vor der eigenen Courage. Er spielte mit dem Gedanken, umzukehren und schalt sich einen Narren, um Mitternacht überhaupt hierhergekommen zu sein.
Aber da war die alte Chronik. Vielleicht entdeckte er hier wirklich ein Geheimnis.
Minutenlang lauschte Gilbert Ruminski in die Dunkelheit. Mittlerweile hatten sich seine Augen auch an die herrschende Schwärze gewöhnt, und er sah plötzlich den schwachen Lichtschein, der aus dem Boden drang.
Ruminskis Nerven vibrierten.
Sollte die Mühle doch ein Geheimnis verbergen?
Mit einer entschlossenen Bewegung holte er die Lampe aus der Tasche und knipste sie an.
Messerscharf schnitt der Lichtfinger durch das Dunkel. Kleine Staubpartikel tanzten in dem gebündelten Strahl.
Ruminski schwenkte den Arm mit der Lampe, leuchtete jeden Gegenstand an – und starrte plötzlich wie gebannt auf eine Stelle am Boden.
Deutlich zeichneten sich die Umrisse einer Falltür ab. Und durch die Ritzen mußte auch der Lichtschein gedrungen sein, den Ruminski bemerkt hatte.
Wer hielt sich dort unten auf?
Der Mörder des alten Perell?
Ruminski löschte die Lampe. Er hatte einen Eisenring an der Falltür entdeckt und sich die Stelle genau gemerkt.
Mit zwei Schritten stand er neben der Tür, bückte sich, packte den Ring, holte noch einmal tief Luft und zog die Luke hoch.
Langsam, Millimeter für Millimeter, hievte er die Klappe in die Höhe.
Der Lichtschein wurde heller. Ruminski konnte jetzt in den unter der Falltür liegenden Keller sehen.
Für einen Moment hatte er das Gefühl, sein Herz würde stehenbleiben.
In einem aus schwarzen Kerzen abgegrenzten Viereck stand ein Mann. Ruminski hatte ihn noch nie gesehen. Er hatte pechschwarzes Haar, trug einen Vollbart und ein langes blutrotes Gewand.
Der Unbekannte bewegte sich nicht, stand starr wie eine Puppe.
Der Lehrer wußte plötzlich, daß er einem großen Geheimnis auf die Spur gekommen war, und ihm war gleichzeitig klar, daß er jetzt nicht aufgeben durfte.
Er sah die Holzstiege, die in die Tiefe führte.
Ruminski legte die Klappe vorsichtig auf der anderen Seite zu Boden. Dann wandte er sich um und setzte seinen Fuß auf die erste Sprosse.
Damit machte der Lehrer seinen ersten Fehler.
Während er die Stiege hinunterkletterte, wandte er dem Unbekannten den Rücken zu und damit auch Cascabel, dem Gnom.
Der Bucklige lauerte in einer dunklen Ecke der Höhle, die von dem Lichtschein nicht erreicht wurde.
Seine Hände hatten den Stiel des Beiles fest umklammert.
Gilbert Ruminski hatte das Ende der Leiter erreicht. Er wandte sich um und ging die paar Schritte auf den Magier zu.
Im gleichen Moment bekam er einen Schlag. Wie ein Stromstoß fuhr es durch seinen Körper.
Ruminski zuckte zurück. Seine rechte Hand, die das magische Viereck zuerst berührt hatte, brannte wie Feuer.
Ruminski konnte keine Erklärung geben, ihm wurde nur klar, daß er sich hier auf ein Abenteuer eingelassen hatte, das ein böses Ende nehmen konnte.
Noch immer hatte sich der seltsame Mann nicht bewegt.
Ruminskis Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Was sollte er tun?
Er kam nicht mehr dazu, eine Entscheidung zu treffen. Ein hämisches Kichern in seinem Rücken ließ ihn herumfahren.
Aus weit aufgerissenen Augen starrte der Lehrer auf die Gestalt, die sich aus dem Dunkel einer Ecke löste.
Es war der Gnom. Das Beil hielt er mit beiden Händen gepackt. Deutlich konnte Gilbert Ruminski die rasiermesserscharfe Schneide erkennen.
Wie hypnotisiert saugten sich seine Augen an der schrecklichen Waffe fest.
Damit war auch der alte Perell ermordet worden!
Und er stand dem Mörder gegenüber!
»Du sagst ja
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