GK0061 - Der Gnom mit den Krallenhänden
gerichtet hielt.
»Du wirst mein nächstes Opfer sein«, flüsterte der Verwachsene unhörbar und zog sich wieder tiefer in das Gebüsch zurück.
Gilbert Ruminski hatte inzwischen seine Gymnastik beendet und sich auf den Rückweg gemacht.
Er lief jetzt von der anderen Seite her auf das Dorf zu. Zu den ersten Häusern, die er erreichte, gehörte auch das kleine Museum. Wieso der Ort, der kaum tausend Einwohner zählte, ein Museum besaß, konnte niemand sagen. Es war eben so.
Plötzlich fiel dem Lehrer ein, daß er für die heutige Biologiestunde noch das Anschauungsexemplar einer Kreuzotter brauchte. Es war sinnvoll, wenn er es sich jetzt holte. Normalerweise war das Museum um diese Zeit noch geschlossen, aber Ruminski wußte, daß der alte Perell hier nachts seinen Dienst als Wächter versah. Warum, das wußte niemand. In dem Museum war noch nie etwas gestohlen worden.
Der Lehrer lief um das aus dicken Steinen erbaute Haus herum und klopfte gegen die Eichentür.
Die Schläge hallten dumpf über die Straße. Sogar ein Tauber mußte sie hören.
Doch der Wächter rührte sich nicht.
Der wird bestimmt eingeschlafen sein, dachte Ruminski. Aber dann verwarf er den Gedanken. Der alte Perell war zuverlässig wie eine Schweizer Uhr.
Ob etwas passiert war? Ruminski wußte auch nicht, wieso ihm plötzlich der Gedanke gekommen war.
Beunruhigt ging er um das Haus herum.
Mittlerweile war es heller geworden, und Ruminski konnte alles genau erkennen.
Prüfend tasteten seine Blicke die abgeblätterte Fassade ab. Er ging langsam weiter und gelangte an die Hintertür.
Sie war abgeschlossen.
Ruminski biß sich auf die Unterlippe. Noch einmal rief er nach dem alten Perell.
Keine Antwort.
Der Lehrer wollte schon gehen, da fiel sein Blick auf die blinden Scheiben der drei Kellerfenster.
Eine Scheibe war zerbrochen.
Die Glassplitter lagen nicht außen, sondern in dem Keller. Also mußte jemand eingebrochen sein.
Ruminski war kein Feigling. Er wollte auch der Sache sofort auf den Grund gehen.
Mit einiger Mühe gelang es ihm, sich durch das Fenster zu winden. Ziemlich verschmutzt landete er im Keller des Museums. Seine Finger suchten nach einem Lichtschalter. Sie fanden keinen, dafür aber eine Tür, die offenstand.
Ruminski setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und gelangte schließlich an eine Treppe, die nach oben führte und vor einer anderen Tür endete, die ebenfalls offenstand.
Das machte Ruminski stutzig. Der alte Perell war ein ordentlicher Mensch im Dorf.
Zum erstenmal überkam Gilbert Ruminski das Gefühl, daß etwas passiert sein mußte.
Er hatte mittlerweile das Erdgeschoß des Museums erreicht und konnte endlich auch Licht machen.
Es waren nur trübe Funzeln, die aufflackerten.
Ruminski erreichte den großen Raum, in dem der Schrank mit den ausgestopften Tieren stand.
Noch einmal rief er nach dem Nachtwächter.
Wieder bekam er keine Antwort.
Ruminski stieß die Tür zu dem Raum auf. Sie ließ sich nur schwer bewegen und quietschte in den Angeln.
Der Lehrer trat über die Schwelle – und erstarrte.
Vor dem großen Schaukasten lag der alte Perell in seinem Blut.
***
Das nackte Grauen überfiel wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Einwohner der kleinen Stadt Beaumont.
Rasend schnell hatte sich der bestialische Mord an dem alten Perell herumgesprochen.
Männer, Frauen und Kinder versammelten sich in der frühen Morgenstunde vor dem Museum, dessen Eingangstür von zwei stämmigen Dorfbewohnern bewacht wurde.
Gerüchte kamen auf. Vor allen Dingen die älteren Menschen wollten genau Bescheid wissen. Der Fluch der alten Mühle wurde wieder lebendig. Unter vorgehaltener Hand erzählte man sich die gruseligen Geschichten.
In dem großen Ausstellungsraum hatten sich der Lehrer, der Arzt, der Bürgermeister und der Gendarm des Dorfes um die Leiche versammelt. Jeden der Männer hatte bei dem Anblick des Toten das kalte Entsetzen gepackt.
»Es ist ganz klar«, sagte der Gendarm, »wir müssen die Mordkommission verständigen. Ich werde mit Saint Lô telefonieren, dann wird man uns die Beamten schon schicken.«
»Werden Sie danach den Fall aufklären?« fragte der Bürgermeister, ein Mann in mittleren Jahren mit unzähligen Sommersprossen im Gesicht.
Der Gendarm tippte sich gegen die Stirn. »Ich bin doch nicht lebensmüde. In fünf Jahren werde ich pensioniert. Was meinen Sie, wenn ich dem Untier gegenüberstehe. Ich habe doch gar keine Chance. Nee, die Aufklärung überlasse ich anderen. So,
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