GK0061 - Der Gnom mit den Krallenhänden
Schattenreich. Grell bemalt und schrecklich anzusehen. Einige Zuschauer begannen schon bei diesem Anblick schwer zu atmen.
Minutenlang geschah nichts. Man ließ das Bühnenbild auf die Zuschauer wirken. Die Musik war ebenfalls leiser geworden, untermalte jetzt nur noch die im Hintergrund der Bühne zu sehenden schrecklichen Zeichnungen.
Die Augen der beiden Mädchen waren gebannt nach vorn gerichtet. Die unheimliche Atmosphäre hatte sie völlig eingefangen.
Anders John Sinclair. Er betrachtete die Sache aus dem kühlen Blickwinkel eines Berufskriminalisten.
John Sinclair war Inspektor bei Scotland Yard. Allerdings wurde er nur bei Fällen eingesetzt, wo normale Polizeimethoden versagten. Er hatte den Geistern und Dämonen den Kampf angesagt. Und seine bisherigen Erfolge zeigten, daß auch die Wesen aus dem Schattenreich nicht allmächtig waren.
John Sinclair war noch relativ jung. Kaum über dreißig, hatte er schon eine glänzende Karriere hinter sich und inzwischen einen Spitznamen erhalten: der Geistertöter.
John Sinclair war hier, weil er sich für alle Dinge interessierte, denen irgendwie der Hauch eines Übersinnlichen anhaftete. Und bei Sourette, dem Magier, hatte man ja genügend die Werbetrommel gerührt.
Plötzlich klang ein dumpfer Trommelwirbel auf. Ein weiterer Scheinwerfer warf seinen kreisrunden Kegel auf die Bühne, in dessen Mittelpunkt ein Gnom stand.
Ein leiser Aufschrei des Erschreckens ging durch die Reihen der Besucher.
Der Gnom lachte.
Teuflisch hallte das Gelächter durch den Zuschauerraum und wurde mit Hilfe der guten Akustik noch verstärkt.
Der Verwachsene hatte seine überlangen Arme in die Hüften gestützt und wiegte den Kopf im Rhythmus seines Gelächters.
Plötzlich brach das Lachen ab. Genauso unvorbereitet, wie es begonnen hatte.
Die Zuschauer hielten den Atem an. Manch einer konnte nicht vermeiden, daß ihm eine leichte Gänsehaut über den Rücken lief.
Der Gnom trug eine schwarze Trikothose und darüber eine glänzende hochgeschlossene Jacke mit goldenen Knöpfen. Sein Gesicht war häßlich, und die langen, strähnigen Haare hingen wirr an seinem Schädel herab.
Neben John atmete Kitty Jones gepreßt aus. Der Inspektor registrierte dies mit einem kurzen Seitenblick.
Dann begann der Gnom zu sprechen. Mit blecherner überlauter Stimme.
»Ich, Cascabel, bin der Diener des großen Sourette. Ich habe die Ehre, den Meister anzukündigen, der euch, die ihr seine Künste sehen wollt, in das Schattenreich nimmt, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Hahaha.«
Wieder gellte das teuflische Gelächter des Verwachsenen durch den Zuschauerraum.
Der Gnom wandte sich zur Seite und streckte seinen rechten Arm aus.
»Er kommt!« rief er. »Sourette, der Magier, hat die Hölle verlassen und ist auf dem Weg zu uns.«
Sofort verloschen sämtliche Scheinwerfer. Sekundenlang war die Bühne in ein absolutes Dunkel getaucht.
Dann flammten von beiden Seiten zwei violette Lichtstrahlen auf, trafen sich in der Bühnenmitte und rissen einen Mann aus der Dunkelheit.
Sourette, den Magier!
Er sah im Gegensatz zu seinem Helfer direkt zivilisiert aus. Sourette trug einen schwarzen Frack, ein weißes Hemd, das allerdings jetzt einen violetten Schimmer besaß, und um den Kragen eine dunkle Schleife. Ein Teil seines Gesichtes wurde durch einen Vollbart verdeckt. Das schwarze Haar war zurückgekämmt und glänzte.
Langsam ging der Magier einige Schritte vor. Die beiden Scheinwerferstrahlen folgten ihm.
Sourette erreichte den Rand der Bühne, blieb stehen und blickte in den Zuschauerraum.
Es war still. Eine fast greifbare Spannung lastete über den Menschen. Jeder hatte das Gefühl, von dem Magier direkt angesehen zu werden.
Sourette verzog die Lippen zu einem kalten Lächeln. Er hob den rechten Arm und schnippte einmal mit den Fingern.
Sofort tauchte Cascabel, der Verwachsene auf. Er schob einen kleinen Wagen vor sich her, auf dem allerlei Dinge lagen, die ein Zauberer benötigt.
Cascabel stellte den Wagen vor dem Meister ab und verließ eilig die Bühne.
Sourette griff nach einer Silberkugel. Sie paßte so gerade in seine Hand.
Er hob den Arm, drehte ihn ein paar Mal, flüsterte seltsame Beschwörungsformeln – und…
Die Kugel war verschwunden!
Ein Aufstöhnen geisterte durch den Zuschauerraum. Selbst John Sinclair konnte sich einer gewissen Faszination nicht entziehen.
Neben ihm flüsterte Kitty Jones: »Mein Gott, wie ist das möglich.«
Und plötzlich klang der Beifall auf.
Weitere Kostenlose Bücher