GK0077 - Der Blutgraf
der amerikanischen Archäologen waren im linken oberen Laderaum gestapelt. Die wertvollen Zeugen der Vergangenheit waren in große Kisten verpackt worden. Schwierigkeiten mit dem Zoll hatte es nicht gegeben. Die entsprechenden Genehmigungen waren schon vorher ausgestellt worden.
Nur etwas konnte nicht in eine Kiste verpackt werden.
Der Sarkophag!
Fast verlassen stand er an der Wand des Raumes, eingekeilt zwischen zwei mannshohen Holzkisten, damit er auch bei schwerem Seegang nicht umkippen konnte.
Über ein Jahrhundert hatte der Vampir in seinem selbst gewählten Gefängnis gelegen. Dann war jemand gekommen und hatte den Sarkophag geöffnet.
Der Vampir war aus seinem tiefen Schlaf erwacht. Die Blutgier hatte ihn erfaßt. Niemand würde ihn halten können. Niemand…
Es war die Nacht vor dem Auslaufen, als der Vampir abermals erwachte. Langsam öffnete er die Augen, so, als könne er die völlige Schwärze, die ihn umgab, durchdringen.
Ein Ächzen entrang sich der Brust des Vampirs. Langsam hob er die Hände, stemmte seinen flachen Handteller gegen den Sarkophagdeckel.
Es klappte sofort. Millimeterweise hob sich der schwere Deckel. Der Vampir schien übernatürliche Kräfte zu besitzen.
Knirschend bewegte sich der Deckel nach vorn. Schon fühlte der Vampir die nach Öl riechende Luft über sein Gesicht streichen. Er verzog die Lippen. Diese Luft war widerlich. Was er brauchte, war der Geruch von frischem Blut.
Der Vampir legte eine genügend große Öffnung frei, um aus dem Sarkophag steigen zu können. Er verursachte dabei kaum ein Geräusch. Er war wie ein Schatten.
Graf Tomaso blieb stehen und lauschte.
Gedämpfte Laute, die das Gehör eines Menschen kaum vernehmen konnte, drangen an sein Ohr.
Stimmen. Sie gehörten Menschen.
Und wo Menschen waren, da gab es auch Blut.
Frisches Blut, wonach er über ein Jahrhundert gedürstet hatte.
Der Vampir schlich auf die große Tür zu. Es war erstaunlich, wie gut er sich zurechtfand.
Die schwere Eisentür war offen. Sie würde erst kurz vor dem Auslaufen geschlossen werden, da es oft vorkam, daß man in letzter Sekunde noch Waren mitnehmen mußte.
Aber Graf Tomaso hatte gar nicht vor, wieder in seinen Sarkophag zurückzukehren. Er wollte sich auf dem Schiff eine Macht aufbauen. Hunderte von Menschen sollten ihm gehorchen. Und wenn das Schiff in Florida anlegte, wären eine große Anzahl von Vampiren bereit, Amerika zu überschwemmen.
Der Vampir zog an dem schweren Türgriff. Lautlos glitt die Tür zur Seite.
Graf Tomaso hielt sie an und huschte dann durch den entstandenen Spalt.
Leise klappte hinter ihm die Tür wieder zu.
Der Graf trug noch immer seine Kleider. Sie waren nicht verwest oder zersetzt. Auch eines der ungelösten Rätsel.
Graf Tomaso stand in einem Gang. Neben sich erkannte er einen Fahrstuhlschacht, der hinauf aufs Deck führte.
Ein grüner Knopf leuchtete durch den matt erhellten Gang.
Der Vampir zögerte einen Augenblick, drückte aber dann entschlossen auf den Knopf.
Er mußte einen Augenblick warten, bevor der Fahrstuhl kam. In der Kabine war Licht aufgeflammt. Zum Glück lief der Fahrstuhl leise, so daß das Geräusch kaum gehört werden konnte.
Er zog die Tür auf. Sie klemmte ein wenig, auch beim Schließen.
In Kopfhöhe befand sich eine Schalttafel an der Wand. Der Vampir las die Bezeichnungen und wurde nicht schlau daraus. Er betätigte irgendeinen Knopf.
Es war genau der, den er haben wollte. Selbst der Zufall war sein Verbündeter.
Ruhig surrte der Lift nach oben.
Nach wenigen Sekunden hielt er mit einem Ruck. Wieder stieß der Vampir die Tür auf.
Frische Nachtluft wehte ihm entgegen. Er hatte es geschafft und befand sich jetzt auf dem Vordeck.
Niemand war zu sehen. Graf Tomasos Augen schweiften über das Deck. Rechter Hand sah er das schwere Ankergeschirr mit den vielen Rollen. Einige Positionslampen brannten. Sie verbreiteten einen milchigen Schein. Der Vampir konnte noch soeben die Umrisse der Kommandobrücke erkennen.
Er wandte sich nach rechts, dem Bug zu. Leise, nur auf den Zehenspitzen laufend, huschte er voran.
Das schwere Ankergeschirr war durch ein Gitter gesichert. Es reichte dem Untoten bis zur Brust.
Langsam strichen die knochigen Hände des Grafen über das Gitter. Er spürte die Kälte, die dieses Metall ausströmte, und mit einemmal erwachte in ihm wieder der Drang nach Blut.
Er wandte sich um. Irgendwo mußte es doch Menschen geben. Auf jedem Schiff war eine Wache, das war früher so und
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