GK0077 - Der Blutgraf
wie eine stumme Drohung aus uralter Zeit. Die Mauern waren dick und dunkel. Zwei Türme ragten in den Himmel. Die Ostseite des Schlosses war zerstört. Die vor einigen hundert Jahren ins Land eingefallenen Türken hatten dies auf dem Gewissen.
Zum Schloß führte nur ein schmaler Weg. Wie eine Schlange ringelte er sich durch den dichten Wald.
Dieser Wald war auch tagsüber dunkel und unheimlich. Hohe, dichte Baumkronen filterten das Sonnenlicht, ließen kaum einen Strahl durch. Kein Vogel nistete in den Ästen der Bäume.
Alles wirkte verlassen, öde und unheimlich.
Die Männer blieben am Anfang des Weges stehen. Sie zögerten, den unheimlichen Wald zu betreten. Manch einer wünschte, weit fort zu sein.
»Los, verdammt noch mal!« schrie der Anführer der Gruppe, ein hochgewachsener bärtiger Mann. »Wir haben es angefangen und bringen es auch zu Ende. Diese verdammte Vampirplage muß aufhören. Sollen unsere Frauen und Mädchen denn immer weiter in Angst und Schrecken leben?«
Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Die Worte, hart und laut ausgesprochen, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Ein unsichtbarer Ruck schien durch die Vampirjäger zu gehen.
Wie auf ein geheimes Kommando setzten sie sich in Bewegung, nur von dem einen Ziel besessen.
Dem Vampir endgültig den Garaus zu machen!
***
Der Vampir rannte um sein Leben, hatte die Mauern des Schlosses längst vor den Häschern erreicht.
Das große eisenbeschlagene Tor stand offen. Der Vampir huschte hindurch, lief über den mit Moos und Unkraut bewachsenen Innenhof und blieb vor dem verwitterten Schloßportal stehen.
Er sah sich um.
Noch war von den Verfolgern nichts zu hören, aber er war sicher, daß sie kommen würden, um ihn zu vernichten.
Der Vampir blickte zum Himmel. Kein einziger Stern funkelte an dem nachtschwarzen Firmament.
Es war, als halte selbst die Natur den Atem an.
Mit beiden Fäusten trommelte der Vampir gegen das Portal. Der Graf mußte ihn hören, falls er nicht schon längst wußte, was überhaupt los war.
Das Echo der Schläge hallte über den verlassenen Schloßhof.
Erschöpft hielt der Vampir inne. Warum kam der Graf nicht? Hatte er ihn nicht gehört? Oder wollte er nicht kommen? Vielleicht hatte er ihn schon längst abgeschrieben.
Diese Erkenntnis trieb dem Vampir heiße Angstschauer über den Rücken.
Aber er sollte sich getäuscht haben.
Graf Sandor Tomaso kam!
Sandor Tomaso! Herrscher über das Vampirreich! Nachfolger Draculas.
Heftig wurde das Portal aufgerissen. Flackernder Kerzenschein drang nach draußen, erhellte für Augenblicke das angstverzerrte Gesicht des Vampirs.
»Komm rein«, sagte der Graf.
Seine Stimme klang dunkel. Sie schien direkt aus einer Gruft zu kommen. Taumelnd schritt der Vampir über die Schwelle des Schlosses.
»Es ist soweit«, keuchte er. »Sie sind mir auf der Spur. Sie werden bald hier sein. Es gibt keine Rettung mehr. Keine…«
»Ich weiß«, sagte Graf Tomaso. »Aber wir, die Untoten, sind stärker. Wir sind unsterblich!«
Der Vampir sah seinen Meister an.
Graf Sandor Tomaso hielt in der rechten Hand einen aus Holz geschnitzten Leuchter, in dem drei schwere schwarze Kerzen steckten. Die Flammen brannten unruhig, warfen zuckende Schattenmuster über Tomasos Gesicht.
Der Graf war schon alt. Hunderte von Jahren lebte er bereits, doch das Blut der Menschen gab ihm immer wieder die Kraft, die er brauchte, um existieren zu können.
Graf Sandor Tomaso, gezeugt in einer Teufelsnacht, war ein hochgewachsener Mann mit schlohweißem Haar. Sein Gesicht war kantig, wirkte hart, aber auch männlich, was besonders vielen Frauen zum Verhängnis geworden war. Unter seinen dichten Augenbrauen funkelten Augen, die an schwarze Diamanten erinnerten. Diese Augen konnten einen das Grauen lehren. Der Graf besaß lange, kräftige Hände, die gnadenlos zupacken konnten und ihr Opfer nie mehr losließen.
Graf Tomaso trug über seinem dunklen Anzug einen schwarzen Umhang, der innen mit blutroter Seide gefüttert war. Er wirkte dadurch wie eine riesige Fledermaus, wenn er seine Arme ausgebreitet hatte.
»Nun?« fragte der Graf.
»Du mußt mich verstecken«, keuchte der Vampir. »Das heißt – nein, wir müssen uns verstecken. Sie – sie werden uns töten. Sie…«
»Niemand wird mich töten«, erwiderte der Graf und betonte dabei besonders das Wort ›mich‹. Dem Vampir fiel dies jedoch nicht auf. Er hatte zu sehr mit seinen eigenen Sorgen und Ängsten zu tun.
»Was – was machen wir denn jetzt?«
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