GK0085 - Amoklauf der Mumie
allerdings nicht überzeugt war. Langsam schloß er die Tür auf. Sie quietschte kein bißchen in den Angeln. Der Raum dahinter war ein Saal. Etwa fünfhundert Stühle waren in zehn Reihen hintereinander aufgebaut worden. Vorn, dort wo sich das Rednerpult befand, stand auch die Kiste mit der Mumie. Die Kiste war mit einem dunklen Tuch abgedeckt worden. Ein leichter Schauer rann dem Nachtwächter doch schon über den Rücken, als der Lampenschein die Kiste traf. So etwas hatte der alte McGrath noch nicht erlebt. Eine Mumie, die einige Tausend Jahre alt war. Das war wirklich eine Sensation. McGrath wandte sich ab.
Er hatte die Aufgabe bekommen, noch einmal die Stuhlreihen zu kontrollieren, das hieß im einzelnen, die Numerierung zu vergleichen. McGrath nahm die Aufgabe sehr ernst. Schließlich wußte er, daß jeder geladene Gast auch auf seiner Karte die entsprechende Sitznummer stehen hatte, und wenn es da zu einem Durcheinander kam, war er schließlich schuld. Das wollte McGrath auf keinen Fäll herbeiführen. Er war so stark in seine Arbeit vertieft, daß er das, was hinter ihm geschah, nicht bemerkte. Der Deckel der Kiste, in der die Mumie lag, bewegte sich nach oben. Unendlich langsam glitt er höher. Das schwarze Tuch begann zu rutschen und fiel auf den Boden. Es gab ein raschelndes Geräusch. McGrath hörte es nicht. Zu sehr war er in seine Arbeit vertieft. Im Schein seiner Lampe kontrollierte er Stuhl für Stuhl. Nicht der geringste Lichtschein glitt durch die abgedunkelten Fenster, als die Mumie sich aufrichtete. Die Augen glühten in einem tiefen Rot. Völlig lautlos bewegte sich der massige Körper. Sicher ging die Mumie auf die ersten Stuhlreihen zu. Es schien, als könne sie im Dunkeln sehen. McGrath befand sich bereits in der zweitletzten Reihe. Noch immer war er ahnungslos. Die Mumie tappte weiter. Die glühenden Augen hatten etwas wahrgenommen. Einen Menschen! Zu beiden Seiten der Stuhlreihen befand sich ein etwa zwei Meter breiter Gang. Er bot Platz genug, so daß die Mumie nicht an einen der Stühle anstieß. Meter für Meter näherte sie sich dem Museumswächter. Die glühenden Augen durchbohrten die Dunkelheit. Jetzt brauchte McGrath nur noch die letzte Reihe zu kontrollieren. Er hielt seine Lampe in der rechten Hand und leuchtete die kleinen Nummernplaketten am vorderen Rand der Stühle ab. McGrath mußte gebückt gehen, und das Kreuz tat ihm weh. Zwangsläufig legte er eine kleine Pause ein. Er richtete sich auf, bog den Rücken durch. Der Lampenstrahl glitt durch den Raum – und…
Im gleichen Augenblick zuckte McGrath zusammen. Ein riesiger Schatten war in dem Lichtkegel aufgetaucht. McGrath schluckte. Die Hand mit der Lampe zitterte. Hatte er sich nur getäuscht, oder…
Er schwenkte die Lampe zur Seite. Da!
Der glühende Blick des Monsters fraß sich in seine Augen. Aber der Lichtstrahl enthüllte noch mehr Einzelheiten. Einen mit Bandagen umwickelten Kopf, den Teil eines Oberkörpers, einen Arm. Die Mumie ist da! schrie es in dem Nachtwächter. Er schloß die Augen, riß sie Sekunden später wieder auf. Die Mumie blieb. Es war kein Traum. Da umkrallte den Nachtwächter das kalte Entsetzen. Auf dem Absatz machte er kehrt, lief wie von tausend Teufeln gepeinigt durch die Stuhlreihen, erreichte den Gang auf der gegenüberliegenden Seite und wollte in Richtung Tür laufen. Die Mumie versperrte ihm den Weg. Drohend und wuchtig stand sie auf einmal vor der Tür, besessen von einer unbezwingbaren Mordgier. Röchelnd sog McGrath den Atem ein. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie die Angst ihm den kalten Schweiß aus den Poren trieb und ihm die Lampe auf einmal zentnerschwer vorkam. Die Mumie wankte auf ihn zu. Es sah aus, als würde sie jeden Moment stürzen. Doch das erwies sich als Trugschluß. McGrath merkte es spätestens in dem Augenblick, als die Mumie nach ihm schlug. Haarscharf wischte der Hieb an seinem Kopf vorbei. McGrath sprang zur Seite, rannte auf eines der Fenster zu und übersah die beiden Stufen, die zu dem Rednerpult hinaufführten. McGrath stürzte schwer. Er prallte mit dem Gesicht auf und spürte, wie ihm das Blut aus der Nase schoß. Die Lampe wurde ihm aus der Hand geprellt. Überdeutlich dröhnten die schweren Schritte der Mumie in seinen Ohren. Ächzend drehte sich McGrath zur Seite. Die glühenden Augen befanden sich direkt über ihm. Ein unförmiger Schatten näherte sich seinem Kopf. Der Fuß des Monsters! Die Mumie wollte den Mann zertreten.
»Nein!«
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