GK0094 - Doktor Tod
Ihre Leichen haben wir bisher nicht gefunden.«
»Dann besteht also die Möglichkeit, daß sie noch leben«, sagte John.
James Powell schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Dieser Dr. Tod hat selbst mit der Ermordung der beiden geprahlt. Deshalb werde ich veranlassen, daß wir das Horror-Kabinett auf den Kopf stellen, bis kein Brett mehr an seinem Platz liegt.«
John winkte ab. »Davon würde ich abraten. Was hätten wir gewonnen?«
»Wir können diesen Dr. Tod einbuchten.«
John lachte. »Falls Sie ihn kriegen. Und dann müssen Sie ihm auch noch einiges beweisen. Nein, diese Aufgabe ist ein Ein-Mann-Job à la John Sinclair.«
Um Superintendent Powells Lippen spielte ein süffisantes Lächeln. »Mit Ihrer Reaktion hatte ich beinahe gerechnet, Inspektor.«
Der alte Fuchs wußte genau, wie er seinen besten Mann packen konnte.
John mußte lächeln, doch er wurde schnell wieder ernst.
»Ich verstehe nur eins nicht«, sagte er, »weshalb hat Dr. Tod die beiden laufenlassen? Wahrscheinlich in einem Anflug von Größenwahn, so auf die Masche ›Mir kann keiner‹.«
»Durchaus möglich«, gab Superintendent Powell zu. »Er fühlte sich eben unbesiegbar.«
»Vorausgesetzt, die Geschichte stimmt«, schränkte John ein.
»Aber das werde ich ja sehen. Sind übrigens die Eltern der beiden Vermißten benachrichtigt?«
»Ja.«
Inspektor Sinclair drückte seine Zigarette aus. Es war Wochenanfang, und über London lag ein strahlend blauer Frühlingshimmel. Eigentlich ein Wetter zum Faulenzen, dachte John.
»Was haben Sie als erstes vor?« riß ihn Powells Stimme aus den Gedanken.
»Ich werde zu diesem Hank fahren. Wie heißt der Junge eigentlich mit Nachnamen?«
»Dillinger. Das Mädchen heißt Helen Clay.«
»Was schätzen Sie, Sir, wie lange Miss Clay noch unter ärztlicher Aufsicht bleiben muß?«
»Einige Wochen werden noch vergehen.«
»Dann bin ich also auf Hank Dillingers Aussagen angewiesen.«
»Vorläufig ja.«
»Da kann man nichts machen.« John stand auf. »Sie hören dann von mir, Sir.«
Superintendent Powell nickte und nahm einen Schluck Mineralwasser, das ihn von seinen Magengeschwüren befreien sollte. Bis heute hatte es nicht geholfen.
Johns Wagen, ein silbergrauer Bentley, stand auf dem Parkhof des Yard-Gebäudes.
Der Wagen war frisch überholt und gewaschen worden. Jetzt wartete er darauf, wieder ausgefahren zu werden.
John Sinclair hatte sich Hank Dillingers Adresse geben lassen.
Der junge Mann lebte noch bei seinen Eltern. Die Familie wohnte in Southwark, einem alten Londoner Wohnbezirk.
John erreichte das Gebiet über die London Bridge und überquerte die Bahngleise.
Dann mußte er sich links halten.
Die Häuser machten einen sauberen und gepflegten Eindruck.
Es war alles Eigentum und wurde dementsprechend instandgehalten. In den kleinen Vorgärten blühten die ersten Frühlingsblumen. Hier war die Welt – wenigstens nach außen hin – noch in Ordnung.
Das Haus, in dem die Familie Dillinger wohnte, war ein Eckhaus. John fand einen Parkplatz und schritt über einen mit Platten belegten Weg auf die Haustür zu. Sie war mit kleinen Butzenscheiben bestückt.
Der Inspektor klingelte.
Wenig später öffnete ihm eine etwa fünfundvierzigjährige Frau, die ein Tuch über den Kopf gebunden hatte. Anscheinend hatte John sie beim Putzen gestört.
»Mrs. Dillinger?«
»Ja.« Die Augen der Frau wurden schmal.
»Mein Name ist John Sinclair, Scotland Yard. Ich hätte gern mit Ihrem Sohn gesprochen.«
John präsentierte seinen Ausweis.
Das Mißtrauen im Gesicht der Frau verschwand. »Kommen Sie rein, Inspektor. Ihr Kollege ist schon oben.«
»Kollege?« fragte John.
»Etwa vor fünf Minuten ist jemand gekommen, der ebenfalls mit meinem Sohn reden wollte. Deshalb wunderte ich mich vorhin.«
In John Sinclair schlugen die Alarmglocken an. »Wo ist das Zimmer Ihres Sohnes?« fragte er schnell.
»Oben im ersten Stock. Aber warum…?«
»Stellen Sie jetzt keine Fragen!« rief der Inspektor und huschte an der verdatterten Frau vorbei ins Haus.
Die schmale Treppe war mit einem braunen Läufer belegt.
John nahm mehrere Stufen auf einmal. Er gelangte in einen Flur. Vier Türen zweigten ab.
John riß die erste auf.
Es war ein Schlafzimmer.
Die zweite Tür.
Da war er richtig.
Im ersten Augenblick blieb John wie festgenagelt stehen.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen brannte sich das Bild, das er sah, in seinem Gehirn fest.
Hank lag auf dem Bett. Mit beiden Händen hielt er den Griff
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