GK0183 - Das Hochhaus der Dämonen
Kreuz wird durch einen Windstoß umgefallen sein. Es ist…«
»Nein, nein, nein.« Aufgeregt schüttelte Plummer den Kopf. »Das war kein Windstoß, außerdem hätte der Wind es ja nicht so zersplittern können. Das ist Florence Barkleys Rache. Glauben Sie mir, Mrs. Pearson. Wir werden noch einiges von ihr zu hören bekommen. Davon bin ich fest überzeugt.«
Plummers Stimme hatte sich immer mehr gesteigert. Vor Aufregung fuchtelte der Mann mit beiden Händen herum. Die anderen Besucher des Friedhofs waren schon aufmerksam geworden und sahen neugierig zu der kleinen Menschengruppe herüber.
John Sinclair hatte ruhig zugehört. Jetzt schob er sich an seinen beiden Begleitern vorbei und trat dicht an das Grab.
Hinter seinem Rücken hörte er Plummer reden. »Wirklich, Mrs. Pearson, das sind die Zeichen. Florence hat es selbst immer wieder gesagt. Sie hat ihren Tod geahnt, und sie wußte genau, was auf sie zukommen würde. Sie hat sich sogar«, und jetzt senkte sich die Stimme des Mannes zu einem Flüstern, »selbst schon im Grab liegen sehen, Mrs. Pearson.«
»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Mister Plummer, und hören Sie mit dem dummen Geschwätz auf. Was soll denn der Herr Oberinspektor von Ihnen denken?«
John Sinclair hatte von den weiteren Reden des alten Mannes keine Notiz genommen. Er war in die Knie gegangen, um sich das Grab der Frau genau anzusehen.
Das Kreuz war auf das Grab gekippt. Senkrecht war es in zwei Teile gespalten worden, als hätte der Blitz eingeschlagen. Die Schrift auf dem Kreuz war verblaßt. John konnte von Florence Barkleys Namen nur noch einige Buchstaben lesen.
Zu Anfang hatte er angenommen, daß die Tote dem Grab entstiegen wäre. Es wäre nicht das erstemal gewesen. John hatte vor gar nicht allzu langer Zeit Ähnliches erlebt. Aber hier war das nicht der Fall. Die Erde war flach und beinahe glatt, wenn auch etwas eingefallen. Welke Stiefmütterchen ließen die Köpfe hängen. Sogar die Metallvase stand noch in der Erde. Erst am gestrigen Tag hatte Mr. Plummer sie mit frischen Blumen bestückt. John roch die feuchte kalte Erde. Er wollte sich schon erheben und den Rückweg antreten, als etwas Seltsames, Unheimliches geschah. Die erdige Oberfläche des Grabes wurde plötzlich durchsichtig. Gleichzeitig verspürte John in seinem Schädel ein stechendes Brausen, das immer mehr anschwoll. Wie von unsichtbaren Händen gezogen neigte sich sein Kopf dem Grab entgegen.
Was er zu sehen bekam, ließ ihn vor Entsetzen starr werden. Er konnte jetzt bis zum Grund des Grabes blicken, erkannte den einfachen Fichtensarg, dessen Deckel zum Teil schon von dem Druck der Erdmassen eingedrückt worden war, und er sah die Leiche in der Totenkiste.
Sie war schon skelettiert!
Das Skelett schien in einer rötlichen Lichtaura zu schwimmen. Leer glotzten die Augenhöhlen, und es kam dem Geister-Jäger vor, als wäre der Mund zu einem triumphierenden Grinsen verzogen.
Ja, jetzt sah er es ganz deutlich.
Die skelettierten Kiefer bewegten sich, so als würde ihm das Knochengerippe etwas sagen wollen.
Und dann hob es die Hand.
Die blanken Finger fuhren einfach durch das Holz des Sarges, als wäre es gar nicht vorhanden. Sie drehten sich und formten eine drohende Faust.
John konnte sich nicht rühren. Hypnotisiert starrte er auf das schreckliche Bild.
Welch schreckliche magische Kräfte waren hier mobilisiert worden! Und dann – von einem Augenblick zum anderen – war alles wieder normal.
Die rote Lichtaura verblaßte, und noch in der gleichen Sekunde türmte sich wieder die Erde über der Totenkiste auf.
Tief sog John Sinclair den Atem ein. Er fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Ein eiserner Reif schien seine Brust zu umspannen. »Ist Ihnen nicht wohl, Herr Oberinspektor?«
Die Stimme der Heimleiterin schien aus weiter Entfernung zu kommen. Eine Hand legte sich auf Johns Schulter.
Der Geister-Jäger drehte den Kopf.
»Mein Gott«, sagte Mrs. Pearson, »Sie sind ja ganz blaß.« John erhob sich ächzend. Automatisch klopfte er sich den Dreck von den Hosenbeinen.
»Soll ich Ihnen einen Arzt holen?«
John Sinclair lächelte. »Nein, danke. Es ist nichts.« Er wischte sich über die Stirn. »Aber haben Sie nichts bemerkt?«
»Was denn?« fragte die Heimleiterin.
»Ist schon gut, Mrs. Pearson. Vielen Dank, daß Sie mir das Grab gezeigt haben.«
»Tja, also ich meine«, Mrs. Pearson wußte auch nicht mehr, was sie sagen sollte.
Der alte Plummer zupfte John am Ärmel seines Jacketts.
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