GK0183 - Das Hochhaus der Dämonen
erst den Bau des Hochhauses abgewartet und dann den Trank des Todes zu sich genommen. Dieses Rezept hat sie mir aber nie verraten. Sie selbst hat den Trank um Mitternacht und bei Vollmond gebraut. Sie nannte ihn auch Nektar des Teufels.«
Johns Gesichtsausdruck war hart geworden. Das, was er hier hörte, war keine Spinnerei. Die alte Florence Barkley hatte genau gewußt, was sie tat.
»Lassen Sie sich etwa von diesen Märchen beeindrucken, Oberinspektor?« fragte Mrs. Pearson.
John blickte die Heimleiterin ernst an, während der alte Plummer wissend vor sich hinlächelte.
»O doch, Mrs. Pearson, daran ist sehr viel Wahres. Florence Barkley hat genau gewußt, was sie tat.«
»Mir soll’s egal sein«, erwiderte die Heimleiterin, die sich für eine realistische Frau hielt. »Nach ihrem Tode ist es jedenfalls bei uns viel ruhiger geworden.«
»Glauben Sie denn, daß sie tot ist?« fragte Plummer plötzlich. Augenblicklich wandten sich ihm zwei überraschte Gesichter zu. »Wie kommen Sie dazu, solch eine dumme Bemerkung zu machen, Mr. Plummer?« sagte die Frau. »Sie ist tot und damit fertig.«
Doch der Alte lächelte sein wissendes Lächeln weiter.
John wollte es genau wissen. »Erzählen Sie mal, Mr. Plummer.«
»Nein, Sir. Ich habe genug gesagt. Aber ich bin sicher, wir werden noch von Florence hören.«
Wir haben schon, fügte John in Gedanken hinzu, hütete sich aber, ein Wort zu sagen. Statt dessen fragte er die Heimleiterin. »Wo liegt Florence Barkley begraben?«
»Auf unserem Friedhof.«
»Wieso? Haben Sie einen eigenen?«
»Ja, er gehört zu unserem Grundstück – und… äh… nun ja, die Insassen suchen sich schon meist zu Lebzeiten ein Grab aus, in dem sie liegen wollen.«
»Makaber«, meinte der Oberinspektor.
»Oft sind alte Leute eben wunderlich.«
»Kann ich das Grab der Florence Barkley sehen?« erkundigte sich John Sinclair.
»Sicher.«
»Aber ich gehe auch mit«, sagte der alte Plummer schnell. »Ich habe heute sowieso noch nicht meinen Besuch bei ihr gemacht.«
»Darum wollte ich Sie gerade bitten.« John half dem alten Mann vom Stuhl hoch.
»Ja, ja, Sir. Die Knochen wollen nicht mehr so. Wird wohl Zeit, daß ich der guten Florence folge.«
»Na, so schlimm ist es auch wieder nicht.«
»Das sagen Sie so, junger Mann. Der Tod kann plötzlich von einer Sekunde zur anderen zuschlagen. Aber was nützt das Philosophieren, kommen Sie.«
Der alte Plummer holte noch seinen Mantel, und dann gingen er, Mrs. Pearson und John Sinclair zum Grab.
Der Weg führte hinter dem Haus vorbei. Längst hatten Bäume und Sträucher ihre Blätter verloren. Der Park wirkte trostlos, wie eine Totenlandschaft.
Anklagend ragten die Gäste in den trüben Spätherbsthimmel. Sie sahen aus wie braune Finger.
Es waren doch noch einige Menschen im Park. Sie grüßten, sahen John aber mißtrauisch an.
Der kleine Friedhof war von einer Mauer umgeben. Sie hatte etwa Brusthöhe und bestand aus Bruchsteinen. Moos war gewachsen, und Efeu rankte an ihr hoch.
Das kleine Tor stand offen. Direkt dahinter sah John einen großen viereckigen Stein, in den zwei Figuren eingehauen waren. Es war der Tod, und er gab einem lebenden Menschen die Hand, um ihn in sein Schattenreich zu ziehen.
John betrat als letzter den Friedhof. Laub raschelte unter seinen Sohlen. Die Gräber waren sehr gepflegt, auch jetzt noch arbeiteten einige Heiminsassen an den letzten Ruhestätten. Auf einigen Gräbern brannten kleine Lampen. Symbole, die das ewige Licht darstellen sollten.
Sie bogen in einen schmalen Nebenweg ein.
»Das letzte Grab in dieser Reihe ist es«, sagte der alte Plummer. Er ging vor. John wunderte sich über seine schnellen Schritte. Plummer schien es ziemlich eilig zu haben.
Und dann blieb er plötzlich stehen. Fast wäre der Oberinspektor auf ihn gelaufen. Neben ihm stieß Mrs. Pearson einen leisen Ruf der Überraschung aus.
Auch John konnte seine Verwunderung nicht verbergen. Sie standen jetzt dicht vor dem Grab der Florence Barkley, und jeder sah, daß das Holzkreuz völlig zersplittert war, als hätte jemand es mit einer Axt mutwillig zerstört.
Aber John glaubte an diese Möglichkeit nicht, und die Worte des alten Plummer bewiesen ihm, daß er damit recht hatte.
»Die Zeit ist gekommen«, flüsterte Plummer. »Endlich. Sie hat es versprochen. Wenn das Kreuz zusammenbricht, ist die Stunde des Satans da…«
***
»Was reden Sie denn da für einen Unsinn, Plummer!« herrschte Mrs. Pearson den alten Mann an. »Das
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