GK0183 - Das Hochhaus der Dämonen
kam von oben, von unten und von beiden Seiten.
Lee Roy schloß die Augen. Eine Minute lang ergab er sich den lauwarmen Wasserstrahlen. Dann stellte er die Dusche ab und griff nach der nierenförmigen Glasflasche mit dem Haarwaschmittel. Er drehte den Verschluß auf und wollte etwas von der dicken, gelblich schimmernden Flüssigkeit auf seine linke Handfläche fließen lassen, als ihn der Schock bis in die Zehenspitzen traf.
Vor ihm stand eine Frau.
Ein Geist…
Die Flasche rutschte dem Architekten aus der Hand und zersplitterte auf dem Boden.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Lee Roy auf die Frauengestalt, die es gar nicht mehr geben durfte, die schon längst in ihrem Grab liegen und vermodern mußte.
Die Frau war Florence Barkley!
Sie sah aus wie zu Lebzeiten. Oder fast so. Das weiße Haar war im Nacken zusammengeknotet. Das lange, bis zum Boden reichende Kleid besaß an Saum und Ärmel weiße Borten. Sie hatte es immer getragen, wenn Lee Roy bei ihr zu Besuch war. Nur das Gesicht war noch faltiger, noch älter geworden, und die Augen besaßen einen seltsamen kalten, gnadenlosen Glanz.
Es waren Mörderaugen.
»Kennst du mich noch, Lee Roy Jackson?« fragte die Geisterfrau mit hoher, etwas krächzender Stimme.
Der Architekt konnte nicht antworten. Er nickte stumm.
Die Frau trat einen Schritt vor, auf die Dusche zu. Dabei gerieten die um den Hals hängenden Perlenketten in Bewegung, mußten eigentlich gegeneinander klirren, doch nicht ein Laut war zu hören.
Ja, Florence Barkley war eine Erscheinung aus einer anderen Welt. »Du weißt, weshalb ich gekommen bin?«.
Lee Roy schüttelte den Kopf. Wenn ihm doch jetzt jemand zu Hilfe kommen würde, aber daran war nicht zu denken. Er hatte alle Termine abgesagt, wollte an diesem Abend allein sein.
Und jetzt diese unfaßbare Begegnung.
Florence Barkley hob beide Hände. »Du warst dumm, Lee Roy Jackson. Du hast dein Leben einfach weggeworfen. Ich hatte dich gebeten, dieses Hochhaus nicht zu bauen. Du hast nicht auf mich gehört. Ich habe gefleht. Du hast mich ausgelacht. Doch dann habe ich grausame Rache geschworen. Du hast nicht auf mich gehört. Im Gegenteil, du hast mich hinausgeworfen, als ich bei dir gewesen bin. Jetzt ist die Stunde der Abrechnung gekommen. Das Hochhaus ist auf unheiliger Erde gebaut worden. Schon seit Jahrhunderten huldigen die Barkleys dem Satan. Bei ihnen hatte er immer eine Zuflucht gefunden, und jetzt, da ihm diese Zuflucht genommen worden ist, wird er grausame Rache üben. An dir und an den Menschen, die in dem Haus wohnen.«
Lee Roys Lippen begannen zu zittern. »Was… was soll das heißen?« hauchte er.
»Du wirst sterben!«
»Neiiinnn!« Lee Roy Jackson ballte die Hände zu Fäusten. Wild schüttelte er den Kopf. Sein Gesicht verzerrte sich zur Grimasse. »Ich will aber nicht sterben! Ich will nicht!!!«
»Doch, mein Freund«, sagte Florence Barkley beinahe sanft. »Es führt kein Weg daran vorbei.« Und dann – urplötzlich – fragte sie: »Was hat er von dir gewollt?«
Der Architekt schluckte. »Wer?«
»Dieser blondhaarige Mann von heute nachmittag.«
»Oberinspektor Sinclair?«
»Von der Polizei?« erkundigte sich die Geisterfrau.
»Ja.«
Florence lächelte. »Er wird nicht mehr lange zu leben haben«, meinte sie. »Also, was hat er dich gefragt?«
»Er… er hat sich über das Haus erkundigt. Er hat auch gefragt, was mit dem Grundstück ist, das…«
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Ich… äh… ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Verstehen Sie mich doch, ich konnte nicht lügen. Er hätte nur im Katasteramt nachzufragen brauchen…«
»Geschenkt, Lee Roy Jackson!« Die Geisterfrau winkte ab. »Hast du meinen Namen erwähnt?«
Der Architekt zögerte mit der Antwort. Schließlich sagte er heiser: »Ja, ich habe Ihren Namen erwähnt.«
»Und?«
»Er ist dann wieder gefahren. Zum Altersheim.«
Die geisterhafte Alte begann plötzlich zu kichern. »Wie gut für dich, daß du mir die Wahrheit gesagt hast. Ja, ich habe diesen Mann auf dem Friedhof des Altersheims gesehen. Er hat sich mein Grab angeschaut.«
Die Alte kicherte wieder schrill. »Aber ich habe ihm eine höllische Überraschung bereitet, die er wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen wird.« Plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht. »Aber er hat es tatsächlich gewagt und ist als Mieter in das Hochhaus eingezogen. Er hat sich damit gegen mich gestellt. Und deshalb muß auch er sterben. Genau wie du!«
»Nein, bitte nicht.« Das Gesicht des
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