GK0183 - Das Hochhaus der Dämonen
vergingen. Dem Geister-Jäger war klar, daß er nicht so dicht an die Fledermaus herankommen konnte, um ihr den Pflock in die Brust zu rammen. Er mußte ihn wie eine Lanze werfen.
Urplötzlich schnellte John Sinclairs Arm vor.
Der wohlausbalancierte, zugespitzte Vampirpfahl zischte durch die Luft und bohrte sich mit einem satten Geräusch dicht unterhalb des gräßlichen Vampirmauls in den Leib des Höllenboten. Wie angewurzelt war John stehengeblieben.
Und dann geschah das, wovor der Geister-Jäger sich immer wieder schüttelte.
Die Verwandlung vom Vampir zum Menschen.
In Sekundenschnelle schrumpften die Flügel zusammen. Die lederartige Haut wich, der Körper streckte sich, nahm menschliche Formen an, aus dem gräßlichen Maul wurde ein normales Gesicht. Das Gesicht eines Mannes.
Langsam rutschte der Verwandelte am Schrank herunter. Zwei Schlüssel brachen knirschend ab.
Mit einem dumpfen Laut fiel der Mann auf den Boden. Der Vampirpfahl steckte jetzt in der Brust. Aber kein Tropfen Blut quoll aus der Winde. Der Vampir war blutleer gewesen und auf der Suche nach frischem Lebenssaft.
Das Gesicht wirkte kalkweiß, war eingefallen. Der linke Arm des Mannes stand seltsam verdreht vom Körper ab. Dort hatte Suko den Flügel eingerissen.
Der Chinese war neben John getreten. Plötzlich stieß er den Oberinspektor an.
»Den kennen wir doch«, sagte er leise und deutete auf den Toten.
»Ja«, gab John heiser zurück. »Den kennen wir. Er ist vorhin im Fahrstuhl mit uns hochgefahren…«
***
Lee Roy Jackson trank einen doppelten Cognac. Den hatte er jetzt mehr als nötig. Himmel, waren die vergangenen Stunden anstrengend gewesen. Sie hatten ihn regelrecht genervt.
Erst der Ärger mit einem Kollegen, dann der Besuch des Oberinspektors, und zum Schluß noch die Ankunft eines Freundes, der von ihm Geld haben wollte.
Aber Lee Roy war hart geblieben. Er konnte zwar gut leben, aber eine Leihanstalt war er auch nicht. Der Freund war dann gegangen und hatte sogar wüste Drohungen ausgestoßen.
Lee Roy war mit sich und der Welt unzufrieden. Auf niemanden konnte man sich mehr verlassen.
Der Architekt stellte das leere Glas weg und verließ sein Atelier. Über eine Holztreppe gelangte er in seine eigentlichen Wohnräume, wo sich auch die Dusche befand.
Die Kacheln waren in türkis gehalten, flauschige, daunenweiche Teppiche bedeckten den Boden. Die Duschkabine war ebenfalls gekachelt. Das Wasser strömte aus vier verschiedenen Düsen. In einer in die Wand eingebauten Nische standen allerlei Duftwässerchen und Badeschaummittel.
Was ein Mann eben so brauchte…
Lee Roy Jackson knipste das Licht in der Dusche an. Es erstrahlte nicht einfach nur eine kalte Leuchtstoffröhre – nein, die Scheinwerfer waren in die Wände eingelassen. Verschiedenfarbige Glasplatten vor den Leuchtkörpern machten das Duschen zu einem extravaganten Vergnügen.
Wer hier duschen durfte, zählte zu Lee Roys besonderen Freunden. Der Architekt hatte seinen Hausmantel schon übergestreift. Er war aus Rohseide und hatte ein kleines Vermögen gekostet.
Achtlos ließ Lee Roy Jackson den Mantel zu Boden gleiten. Nackt stand er vor einem großen Spiegel, betrachtete sein Ebenbild und nickte zufrieden.
Ja, er konnte sich mit seinen achtundfünfzig Jahren noch sehen lassen. Kein Gramm Fett an seinem Körper, die Haut noch straff und nicht faltig. Dazu von der Höhensonne vom Scheitel bis zur Sohle gebräunt. »Nimm deinen Anblick ruhig noch einmal in dich auf, du Schönling«, flüsterte plötzlich eine Stimme. »Lange wirst du dich daran nicht mehr erfreuen können.«
Lee Roy kreiselte herum.
Jemand mußte sich in der Dusche befinden.
Doch sie war leer.
»Langsam werde ich schon verrückt«, sagte der Architekt. Fahrig strich er sich über sein Gesicht. »Der Tag war heute doch wohl etwas zu viel für mich.«
Plötzlich fühlte er, wie etwas seinen Rücken berührte.
Eine Hand.
Eiskalt.
Lee Roy zuckte zusammen, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten.
Wieder drehte er sich.
Abermals das gleiche.
Niemand war zu sehen.
»Ich bin doch nicht betrunken«, murmelte er, konnte aber nicht vermeiden, daß die Angst in ihm hochkroch. Eine Angst, die sich langsam in Grauen umwandelte.
Und doch wollte Lee Roy Jackson nicht auf seine abendliche Dusche verzichten. Er stieg in das knöchelhohe Becken, drehte die Mischbatterie auf die richtige Temperatur – für ihn dreißig Grad – und stellte die vier Düsen an.
Das wohltemperierte Wasser
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