GK0200 - Das Todeskarussell
Lampenstrahl zuckte hin und her, und dann ein schwerer Fall. Marco machte auf dem Absatz kehrt. Er nahm sich gar nicht erst die Zeit, sein Messer aus dem Körper zu ziehen. Als er an der Tür war, hörte er den Schrei.
Der Verletzte brüllte in panischer Angst um Hilfe. Dann verstummte der Schrei in einem Röcheln.
Marco schob sich nach draußen.
Bela wartete schon fieberhaft auf ihn.
»Was war los?« hetzte er. In seinen Augen las Marco die blanke Angst.
»Irgendein Kerl ist plötzlich aufgetaucht. Komm, wir müssen weg.« Im gleichen Augenblick sahen sie die Gestalten. Drei – vier Leute kamen aus dem Haupthaus gestürzt. Ihre Konturen hoben sich auf der hellen Schneefläche deutlich ab.
»Renn doch, verdammt!« Marco riß den schreckensstarren Bela mit sich.
»Halt! Stehenbleiben!« Hinter Ihnen gellte eine heisere Männerstimme auf.
Die beiden jungen Zigeuner rannten, was ihre Beine hergaben. Plötzlich peitschte ein Schuß.
Dicht neben Belas Fuß wirbelte die Kugel eine Schneefontäne auf. Die beiden Zigeuner duckten sich, hetzten aber weiter. Dann sahen sie die Mauer.
»Du zuerst!« keuchte Marco.
Mit viel Mühe bekam Bela die Kante der Mauer zu fassen. Dort oben legte er sich hin und reichte Marco die Hand.
Keiner von ihnen sah, daß sich einer der Verfolger hingekniet hatte. Es war ein Soldat, der vor drei Tagen seinen Heimaturlaub angetreten hatte.
Der Mann zielte genau.
Die anderen liefen an ihm vorbei.
Einer hielt eine Mistgabel mit langen Zinken in der Hand. Marco und Bela befanden sich jetzt auf der Mauer. Marco ließ sich kurzerhand herunterfallen. Bela zögerte, und dieses Zögern wurde ihm zum Verhängnis.
Der Schuß zerriß die Stille der Nacht. Es hörte sich an, als würde ein Ast brechen.
Die Kugel traf Bela. Der Stoß schleuderte Bela von der Mauer. Tot fiel er auf der anderen Seite in den Schnee.
Entsetzt starrte Marco auf die Leiche seines Freundes. Dann begann er zu schreien. »Ihr Hunde!« brüllte er. »Ihr verdammten Hunde! Das werdet ihr mir büßen!«
Nach diesen Worten rannte er wie von Furien gehetzt los. Trotz der Kälte schwitzte er am gesamten Körper.
Selbstverständlich waren die beiden Schüsse gehört worden. Die Menschen schliefen jetzt im Krieg sowieso nur mit einem Auge. Als Marco durch das Dorf rannte, klappten die ersten Türen auf. Wieder wurde hinter ihm geschossen.
»Alarm!« brüllte eine Stimme.
Die Einwohner begriffen nicht so schnell, was eigentlich los war. Sie sahen Marco zwar rennen, hielten ihn aber nicht auf. Nur ein älterer Mann stellte sich dem jungen Zigeuner in den Weg. Marco schlug ihm die Faust in den Leib, so daß der Mann stöhnend zusammenbrach. Ein paar Sekunden später schon jagte Marco am Pfarrhaus entlang, und als er in das Lager gehetzt kam, hatten die Zigeuner ihre primitiven Behausungen verlassen und starrten Marco ängstlich entgegen.
Lucia kam auf ihn zugelaufen. »Was ist geschehen, Marco? Was ist mit Bela?«
Marco schlug nach ihr. »Laß mich, verdammt!« Dann lief er in Chandras Unterkunft.
Das Sippenoberhaupt hatte ihn bereits erwartet.
Marco ließ das Huhn achtlos auf den Boden fallen und lehnte sich schweratmend gegen die Wand.
»Bela ist tot«, keuchte er.
Chandra sah ihn nur an. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, erwiderte er hart. »Unsere Aufgabe ist wichtiger! Gib mir das Huhn!« Marco überreichte es dem Sippenführer.
Chandra hatte schon alles vorbereitet. Auf einer primitiven Holzkiste stand ein Tongefäß, in das seltsame magische Zeichen eingeschnitzt waren, die grün leuchteten. Chandra hatte den Ring von seinem Ohr gelöst und in das Gefäß gelegt.
»Paß auf, daß niemand kommt!« befahl er Marco.
Gehorsam nahm der junge Zigeuner an der Tür Aufstellung. Aus seiner Schärpe zog Chandra ein blitzendes Messer. In der linken Hand hielt er das Huhn, ziemlich dicht über dem Tongefäß mit dem Ohrring.
Dann stach er mit dem Messer zu, schlitzte dem Tier mit einem Schnitt den Bauch auf.
Dampfend lief das Blut in die Schale. Ein strenger Geruch breitete sich aus. Während das Tier langsam ausblutete, murmelte Chandra magische Beschwörungen.
Es waren schreckliche, abgehackte Laute, die in keinem Wörterbuch zu finden waren und die aus uralten Überlieferungen der Zigeunermythologie stammten.
Draußen vor der Hütte hatten sich die übrigen Mitglieder versammelt. Sie standen in der Kälte, redeten erregt miteinander und froren um die Wette.
Sieben Menschen waren es. Sechs Erwachsene und ein
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