GK078 - Das Todeslied des Werwolfs
wenn du auf mich warten würdest«, erwiderte ich.
»Und was würdest du inzwischen tun?«
»Ich würde Mr. Jeremy Cool einen kurzen Besuch abstatten.«
»Warum kann ich nicht mitkommen?«
»Weil Cool ein unangenehmer Geselle ist. Manchmal jedenfalls. Man behauptet, er wäre nicht ganz richtig im Kopf. Legst du Wert auf einen Besuch bei einem Verrückten?«
»Mehr Wert auf jeden Fall, als darauf, allein in einem Café auf dich zu warten. Cool kann zur Abwechslung mal ganz amüsant sein.«
»Weißt du, dass er Frauen regelrecht hasst?«
Vicky lächelte zuversichtlich.
»Mich wird er lieben.«
»Was macht dich so sicher?«
»Du liebst mich doch auch.«
Ich seufzte.
»Eine umwerfende Logik. Na, komm schon. Ehe wir uns streiten, nehme ich dich lieber mit.«
Wir überquerten die Straße. Ich entdeckte die Kratzspuren, die der Werwolf beim Überklettern der Mauer hinterlassen hatte.
Der Grundstückseingang befand sich um die Ecke. Es handelte sich um ein schmiedeeisernes Tor, das genauso gut vor einem Friedhof hätte prangen können. Dahinter lag welkes Laub in einem verwahrlosten Garten, um den sich anscheinend niemand kümmerte.
Die Obstbäume waren zum Teil abgestorben. Sie reckten ihr knorriges Zweigwerk wie dürre Besen in den unfreundlichen Himmel.
»Ich habe Hunger«, sagte Vicky.
»In dem kleinen Café gäbe es was zu essen«, erwiderte ich grinsend.
»Willst du nun endlich läuten, oder soll ich es tun?«, fragte Vicky ungeduldig.
Ich presste meinen Daumen auf den Knopf.
Man hörte nicht, ob es drinnen im Haus läutete. Die Glocke konnte auch ausgeschaltet sein.
Wir warteten.
Nichts passierte.
»Er ist vielleicht nicht da«, sagte Vicky.
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
»Er ist da. Ich bin sicher, dass er zu Hause ist. Er ist immer da.«
Ich schielte zu den schmutzverkrusteten Fenstern des Hauses, das wie ein Geisterschloss wirkte.
»Wenn es in diesem Gebäude spukte, würde mich das nicht wundern«, sagte ich.
Vicky wurde ungeduldig.
»Versuch’s noch mal«, verlangte sie.
Ich kam der Aufforderung mit einem neuerlichen Knopfdruck nach. Aber der Erfolg vom ersten Mal wiederholte sich auf eindrückliche Weise. Es passierte abermals nichts.
Doch dann sah ich ihn.
Ganz kurz nur.
Sein rundes, hässliches Gesicht erschien hinter den dreckigen Scheiben des Fensters. Seine Züge waren feindselig verzerrt.
Ich sah, wie er die Lippen bewegte und war sicher, dass er uns verfluchte.
»Was ist?«, fragte Vicky mich. Sie hatte Cool nicht bemerkt.
»Er beobachtet uns«, flüsterte ich.
»Wo?«
»Zweites Fenster von rechts.«
»Gib ihm doch mit Handzeichen zu verstehen, dass er aufmachen soll, Tony.«
»Jeremy Cool reagiert auf keine Handzeichen!«, sagte ich ernst. »Und wenn doch, dann auf irgendeine verrückte Weise.«
Cools Gesicht war inzwischen wieder verschwunden.
»Sonderbarer Kauz«, sagte Vicky ärgerlich.
»Von einem Narren kann man kein anderes Verhalten erwarten«, erwiderte ich.
»Gibst du auf, Tony?«
»Noch nicht«, sagte ich kopfschüttelnd. »Einmal versuche ich es noch mit dem Läuten.«
Als auch das dritte Klingelzeichen keinen Erfolg zeitigte, kramte ich in meinen Taschen herum.
»Tony!«, rief Vicky erschrocken aus »Was hast du vor?«
»Ich will versuchen, die Tür aufzuschließen.«
»Das darfst du nicht! Du warst doch lange genug bei der Polizei, um zu wissen, dass du so etwas nicht tun darfst.«
»Ich war aber auch lange genug bei der Polizei, um zu wissen, wie man mit solchen Leuten umgeht. Cool ist kein geistiger Normalverbraucher. Also sieht er die ganze Welt verkehrt. Und wenn wir nun plötzlich durch diese Tür spaziert kommen, wird er ganz anders reagieren als normale Menschen es tun würden.«
Ich schob meinen Dietrich ins Schloss, hakte ein, kippte die eiserne Zunge nach rechts und konnte gleich darauf die Tür aufdrücken.
»Wenn er nun aber ausnahmsweise mal normal reagiert«, flüsterte Vicky an meiner Seite. »Wenn er die Polizei anruft.«
»Er hasst die Polizei. Deshalb wird er sie nicht anrufen«, sagte ich restlos überzeugt. »Willst du hier draußen auf mich warten?«
Vicky schüttelte schnell den Kopf. »Nein. Ich komme mit.«
»Okay«, sagte ich und nickte. »Dann wollen wir dem geistigen Tiefflieger mal nahe treten.«
Wir durchschritten den Eingang.
Das welke Laub raschelte unter unseren Schuhen. Die Bäume wären teilweise schon kahl. Die Büsche ebenfalls.
Der Rasen war ungepflegt.
Überall wucherte Unkraut.
Am Haus
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