GK078 - Das Todeslied des Werwolfs
Bestie um und hetzte keuchend über die Straße. Ihr Hunger war gestillt. Mehr wollte sie nicht.
Brisson schaute dem Monster nach.
Er sah das Untier auf der gegenüberliegenden Straßenseite durch die Nebelfetzen huschen. Er sah den Werwolf an einer Mauer hochschnellen, hörte das Kratzen der Krallen an der Mauer, sah wie sich das Monster über die Mauerkrone schwang und gleich darauf verschwand.
Verdattert stand Hugo Brisson nun da.
Zu seinen Füßen lag die Leiche eines Mädchens, das Alice Rack geheißen hatte.
***
Vor den hohen Fenstern des Hotels lag einer jener trüben Herbsttage, die vielen Menschen bis in die Seele hinein zuwider sind.
Das Grau des Tages erschien auf ihren Gesichtern, machte sie traurig oder missmutig.
Vicky Bonney und ich hatten dieses Zimmer eines kleinen, ruhigen Londoner Vorstadthotels gestern Nachmittag bezogen.
Wir waren nach London gekommen, um uns einige Häuser anzusehen, denn wir hatten die Absicht, in die Großstadt zu übersiedeln. Als Überbrückung sollte uns erst mal dieses Hotelzimmer dienen.
Vicky hatte sich gleich nach dem Frühstück sämtliche Tageszeitungen kommen lassen. Nun saß sie am Fenster und ackerte die Annoncen durch. Ich stellte mich nachdenklich vor den Spiegel.
Der Mann, der mir daraus entgegensah, war nicht mehr derjenige, der er noch vor einem halben Jahr gewesen war.
Schreckliche Dinge waren passiert. Der magische Ring an meiner rechten Hand erinnerte mich mit seinem Stein daran.
Es hatte alles ohne mein Zutun begonnen.
Einer meiner Vorfahren war Henker gewesen. Er hatte wie ich Anthony Ballard geheißen. Eines Tages hatte er die Aufgabe gehabt, sieben Hexen zu hängen. Von diesem Tag an hatte das Unheil seinen Lauf genommen.
Ich war Polizeiinspektor gewesen.
Heute war ich es nicht mehr.
Ich hatte mich aus dem Polizeidienst zurückgezogen. Mein Interesse hatte sich merklich gewandelt. Ich war nicht mehr der junge, unbekümmerte Mann, der ich vor jenen grauenvollen Abenteuern gewesen war, die ich zu bestehen gehabt hatte. Diese fürchterlichen Erlebnisse hatten abgefärbt. Ich war ein anderer geworden. Ein Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Dämonen aufzuspüren und zu vernichten. Ich lebte nur noch dafür.
Deshalb hatte ich meinen Dienst bei der Polizei quittiert.
Der Industrielle Tucker Peckinpah, dessen Frau von einem schrecklichen Blutgeier in Spanien zerrissen worden war, hatte mich sozusagen engagiert. Er bot mir den finanziellen Rückhalt, den ich brauchte, um mich voll und ganz auf die unerbittliche Dämonenjagd konzentrieren zu können.
Er hatte eine Art Fonds geschaffen, der nur mir zur Verfügung stand.
Ich war reich geworden.
Und finanziell völlig unabhängig.
Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Ich brauchte nicht einmal Tucker Peckinpah Rechenschaft abzulegen, und es gab wohl nichts auf dieser Welt, das ihn veranlasst hätte, mich eines Tages nicht mehr finanziell zu unterstützen.
Sein Geld und meine Durchschlagskraft hatten sich zu einer Einheit zusammengefunden, die den Dämonen in aller Welt künftig schwer zu schaffen machen würde.
Vicky hatte einige interessante Angebote mit Rotstift angezeichnet.
Nun überflog sie die aktuellen Meldungen.
Dabei stieß sie auf den grauenvollen Mord, der in der vergangenen Nacht verübt worden war.
Sie machte mich auf die Berichte aufmerksam. Ich sah mir die Fotos von der Leiche an und wusste augenblicklich, was es geschlagen hatte.
»Ich lasse mich vierteilen, wenn das nicht eindeutig Verletzungen von einer Werwolfsklaue sind!«, sagte ich überzeugt.
»Das arme Mädchen«, sagte Vicky mitfühlend.
»Wie hieß sie?«, fragte ich.
»Alice Rack.« Vicky las sämtliche Berichte vor. Jede Zeitung schrieb darüber anders. Es wurden die dümmsten Vermutungen angestellt, doch niemand fand den Mut, offen zu sagen, wer hinter diesem grässlichen Mord steckte.
Ich war davon überzeugt, dass so mancher helle Kopf in den Redaktionen meiner Meinung war. Doch man wollte die Leute nicht ängstigen, nicht verrückt machen. Deshalb schrieb man von einem Wahnsinnigen, der mit irgendeinem selbst gebastelten Gerät über das Mädchen hergefallen wäre und ihr damit diese fürchterlichen Verletzungen beigebracht hätte. Vielleicht war es gut, die Leute nicht unnütz zu erschrecken.
Viele Menschen neigen zur Hysterie. Ein Wolf in London hätte vermutlich sehr leicht eine solche Hysteriewelle auslösen können.
Deshalb schwieg man die Tatsache geschickt tot und schob die
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