GK095 - Fahrstuhl in die Hölle
fort.
Mr. Silver schrie mir nach: »Denke immer daran, Tony Ballard! Denke an das, was ich dir gesagt habe!«
Sie brachten ihm mit einem gemeinen Hieb zum Schweigen. Ich verlor ihn aus den Augen.
***
Der Pranger war aus Stein.
Sie hatten mich mit Stricken an den hölzernen Pfahl gebunden. Mein Oberkörper war nackt. Der Rücken war gespannt. Hinter mir stand der große kräftige Mann, der mir die ersten zwanzig Peitschenhiebe geben sollte.
Das ganze Dorf war auf den Beinen.
Sie standen um den Pranger herum und gafften mich an.
Kino, Oper, Theater, Fernsehen – welch ein Segen für die Menschheit. Im zwanzigsten Jahrhundert hatten es die Leute nicht mehr nötig, sich mit solchen Schauspielen die Zeit zu vertreiben.
Die Peitsche pfiff.
Ich hielt unwillkürlich den Atem an und schloß die Augen. Meine Kiefer waren fest aufeinandergepreßt.
Aber der Schmerz blieb aus.
Der Kerl war anscheinend noch nicht soweit. Er übte noch.
Doch dann wurde es ernst. Ringsherum herrschte absolute Stille. Sie wollten alles genau hören. Das Pfeifen der Peitsche. Das klatschen, wenn sie meine Haut traf. Meine Schmerzensschreie.
Aber in diesem letzten Punkt enttäuschte ich sie zwanzigmal.
Ich konnte ein gequältes Stöhnen nicht vermeiden. Aber ich schrie kein einziges Mal, obwohl mir schon nach dem dritten Schlag zum Brüllen war.
Ich zählte jeden Hieb.
Siebzehn, achtzehn, neunzehn… Mach! Mach schon! Zwanzig! Endlich. Kein weiterer Schlag kam mehr. Ich entspannte mich und fühlte, wie ich zitterte. Wenn sie mich nicht an diesem Pfahl festgebunden hätten, wäre ich vermutlich nun zusammengebrochen.
***
Hunger und Durst quälten mich.
Sie hatten mich einfach vergessen. Mir war entsetzlich kalt. Wundfieber schüttelte mich. Ich klapperte mit den Zähnen.
Wie viele waren schon auf diese grausame Weise getötet worden.
Nichts anderes war es. Ein langsames, grausames Töten.
Sie schwächten meinen Körper durch Nahrungsentzug. Und sie hämmerten mir meine Widerstandskraft mit ihrer Peitsche aus dem Leib.
Was blieb nach diesen sieben Tagen dann noch? Würde ich nach sieben Tagen noch die Kraft haben, Nicholas Braddock aufrecht gegenüberzutreten? Wohl kaum.
Nach diesen sieben Tagen war ich erledigt, das wußte ich bereits heute, am ersten Tag.
Ich sollte Braddock töten.
Aber wie? Wenn ich in mein Jahrhundert zurückkehren wollte, wenn ich diesen verdammten Alptraum vergessen wollte, mußte ich mir Braddocks Amulett holen.
Wie denn?
Reiter!
Sie sprengten auf den Dorfplatz, umringten den Pranger, lachten über mich. Einer von ihnen war Nicholas Braddock. Er lachte am lautesten. Er weidete sich an meinem Anblick, an meinen Schmerzen, an meinen Verletzungen, an meinem Blut. Dieser Teufel! Ich preßte die Zähne zusammen. Gott, was hätte ich dafür gegeben, wenn ich ihm jetzt an die Gurgel hätte springen können.
»Wie geht es, Ballard?«, fragte er höhnisch von seinem Pferd herab.
Ich wollte ihm sagen, er solle sich zum Teufel scheren, aber ging das denn? Er war ja der Teufel. Zumindest war er ein Teil von ihm.
»Morgen gibt es wieder zwanzig Schläge!«, sagte er genießend.
Er stieg von seinem Pferd und kam auf mich zu. Sein beißender Atem kam direkt aus der Hölle.
Er beugte sich vor.
Was er nun sagte, konnte nur noch ich hören. Er sprach mit Absicht leise. Seine Schergen sollten davon nichts mitbekommen.
»Earl Jenkins, Porter Harrison, Rita Brown und Sean Travers haben in etwa dasselbe durchgemacht wie du, Ballard. Du bist der fünfte aus deinem Jahrhundert. Aber ich hole mir meine Opfer nicht nur aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Ich hole sie mir aus allen Jahrhunderten.«
»Du bist wirklich ein Dämon, Nicholas Braddock!«
Der Kerl lachte schauderhaft.
»Freut mich, daß du das sagst, Ballard. Man hat mir schon viel von dir erzählt. Vor allem Asmodi, der Höllenfürst, hat mich vor dir gewarnt. Einer deiner Ahnen war ein Henker, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und heute bist du der Gehenkte«, grinste der Dämon ekelhaft. »Ich glaube, ich werde dich als ersten nicht zurückschicken, Tony Ballard. Ich glaube, es würde mir mehr Spaß machen, dich hierzubehalten.«
»Verschwinde! Los, hau ab! Ich kann dich nicht mehr sehen!«, brüllte ich verzweifelt auf.
Braddock trat zurück.
Er stieß ein irres Gelächter aus. Dann schwang er sich auf sein Pferd und jagte mit seinen Männern davon.
Ich werde ihn töten! , schwor ich mir.
Ich muß ihn töten.
Und ich werde es schaffen!
***
Vicky Bonney
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