GK217 - Die Geißel der Hölle
bedrückte. Sie legte die Handflächen aufeinander und senkte das Kinn auf die Fingerspitzen.
»Was ist los mit dir, Gus?«
»Ich muß mit jemandem darüber sprechen«, sagte Kane ernst. Das Licht der Wohnwagenlampe spiegelte sich auf seiner Glatze. Er massierte seinen Stiernacken und wußte nicht, wie er fortfahren sollte. »Vorhin habe ich die Klinik angerufen. Zuerst wollten mir die Banditen in Chihuahua keine Auskunft geben, aber als ich zu brüllen anfing und ihnen massiv drohte, erklärten sie mir, daß Virgil noch nicht über den Berg ist. Er schwebt nach wie vor in Lebensgefahr…«
»Er wird durchkommen«, sagte Lorraine, um Gus zu helfen.
»Heute sieht es nicht danach aus.«
»Virgil ist zäh, Gus.«
Kane leckte sich die Rippen. Er sah Lorraine nervös an. »Kann ich was zu trinken haben?«
»Dort drüben steht der Whisky.«
»Möchtest du auch einen haben?«
»Möchten schon. Aber ich darf nicht. Der Doktor hat’s verboten.«
»Armes Mädchen«, sagte Kane und holte sich seinen Drink. Mit einem Ruck goß er den Whisky in seinen Hals. »Verdammt, Virgil und ich haben dem Tod mehr als hundertmal ins Auge gesehen, und trotzdem haben wir immer wieder unser Leben aufs Spiel gesetzt. Es ist wie eine Sucht. Ein unbeschreiblicher Nervenkitzel ist das, wenn du nicht genau weißt, was die nächste Minute bringt. Und doch haben wir beide niemals damit gerechnet, daß es wirklich mal aus sein könnte. Wir hielten uns immer für Kater, die sieben Leben besitzen. Und nun…« Kane blickte in sein leeres Glas, und als er die Augen auf Lorraine richtete, waren sie traurig. »Wenn Virgil nicht durchkommt, Lorraine, hänge ich diesen Job an den Nagel. Könntest du einen solchen Schritt verstehen?«
»Absolut. Du hast das Schicksal oft genug herausgefordert. Ich halte es für vernünftig, damit rechtzeitig Schluß zu machen, denn kein Mensch hat immer nur Glück. Und du wirst nicht jünger. Selbst überschätzt man sich leicht. Man denkt, dies und jenes kann ich mit vierzig noch ebenso gut wie ein Zwanzigjähriger, aber das stimmt nicht. Eines Tages wird sich die Angst einstellen. Du wirst zu denken anfangen. Du wirst überlegen, wie groß das Risiko, für dich ist, wirst dir ausrechnen, wie hoch deine Chancen sind, heil davonzukommen. Ein Stuntman, der zu denken anfängt, ist für den Film nicht mehr zu gebrauchen.«
»Da hast du recht.«
»Du hast in all den Jahren nicht schlecht verdient.«
»Ich hab’ auch gespart.«
»Na also. Warum machst du nicht irgendwo eine nette Diskothek auf und genießt dein Leben?«
Gus Kane nickte nachdenklich. »Das ist zu überlegen, Lorraine.« Er erhob sich. »Es hat mir gut getan, mit jemandem über das zu sprechen, was mich bedrückt. Wenn Virgil durchkommt, werde ich ihn überreden, sein Geld zu meinem dazuzulegen, damit wir die Diskothek gemeinsam eröffnen können.«
Lorraine schmunzelte. »Wie ich Virgil kenne, wird er von deinem Vorschlag begeistert sein.«
»Gute Nacht, Lorraine.«
»Gute Nacht, Gus.«
»Du bist ein feiner Kerl, Lorraine.«
»Du auch«, erwiderte das Mädchen und strich sich verlegen eine rote Locke aus der Stirn. Kane drückte die Wohnwagentür hinter sich zu. Lorraine erhob sich, stellte das Glas weg, aus dem der Stuntman getrunken hatte, und klappte den schmalen Tisch nach unten. Anschließend zauberte sie an dieser Stelle mit wenigen Handgriffen ein Bett hervor. Schläfrig breitete sie das Laken darüber.
Plötzlich erschrak sie zutiefst.
Sie hatte den Eindruck, sich nicht allein im Wohnwagen zu befinden…
***
Lionel Meagher hatte eine brauchbare Idee geliefert, die Vicky Bonney sogleich zu Papier bringen wollte. Deshalb verließ sie die Cantina, um ihren Wohnwagen aufzusuchen. Sie hatte Tony und Mr. Silver aus den Augen verloren, glaubte, daß die beiden der Cantina den Rücken gekehrt hatten, um irgendwo ungestört einen Schlachtplan zu entwickeln, nach dem sie Zodiac angreifen und nach Möglichkeit vernichten beziehungsweise für alle Zeiten in die Dimensionen des Schreckens verbannen konnten.
Vicky kam an Lorraines Wohnwagen vorbei.
Gus Kane öffnete die Tür und schloß sie hinter sich gleich wieder. Er ging ein Stück mit ihr, versuchte unbeholfen, ein Gespräch anzufangen, doch Vicky war mit ihren Gedanken zu sehr bei Meaghers Idee. Deshalb kamen ihre Antworten nur äußerst knapp über die Lippen. Kane war der Meinung, sie wolle sich nicht mit ihm unterhalten, und wünschte ihr daraufhin eine gute Nacht.
Im Wohnwagen
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