GK453 - Wolfsmond
der Mann. Reglos. Vielleicht tot. Morlar grub seine Schneidezähne in die Unterlippe. Verflucht noch mal, seit fünfzehn Jahren fuhr er unfallfrei, und dann kam so ein Verrückter daher…
Mit dem Ziertuch wischte sich Morlar die Schweißtropfen von der Stirn. An seiner Schläfe zuckte eine Ader. Er schaute sich nervös um. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.
Sogar der Gedanke an Fahrerflucht war vorhanden, aber nur für einen kurzen Moment lang, dann war für Robert Morlar klar, daß so etwas für ihn nicht in Frage kam. Außerdem war er an diesem Unfall unschuldig, aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte er zu dem gestanden, was er angestellt hatte. Er war schließlich kein feiger Rotzjunge.
Unruhig suchten Morlars Augen die Person, vor der der Mann auf der Flucht gewesen war. Niemand war zu sehen. Trotzdem glitt Morlars Hand in die Hosentasche. Als seine Finger den Griff des Springmessers berührten, fühlte sich Robert Morlar etwas sicherer.
Zögernd näherte sich der Autofahrer dem Unfallopfer, das von den Scheinwerfern angestrahlt wurde. Im Vorbeigehen warf Morlar einen Blick auf seinen Wagen. Der Aufprall hatte lediglich dem Mann geschadet, nicht aber dem Fahrzeug.
»Wie kann man nur so verrückt auf die Straße rennen?« brummte Morlar.
Er beugte sich über den Reglosen. Der Mann lag mit verrenkten Gliedern auf dem Rücken. Morlar tastete nach der Halsschlagader. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er das leichte Pochen wahrnahm.
»Nur ohnmächtig«, stellte er fest. »Dem Himmel sei Dank.«
Er richtete sich auf. Die Sache hätte auch wesentlich schlimmer ausgehen können. So, wie der Mann durch die Luft geflogen war, war es für Morlar ein kleines Wunder, daß er noch lebte.
Suchend sah sich der Autofahrer um. Er entdeckte in einer Entfernung von hundert Yards eine rote Telefonzelle, ließ den Wagen stehen, eilte zu Fuß zur Telefonbox und setzte sich mit der Polizei in Verbindung.
»Mein Name ist Robert Morlar, ich habe einen Unfall zu melden.«
»Ist jemand verletzt?«
»Der Mann, der mir in den Wagen rannte, ist bewußtlos. Äußere Verletzungen konnte ich keine feststellen, aber vielleicht hat er innere.«
»Wo ist der Unfall passiert?«
Morlar sagte es.
»Bleiben Sie bei Ihrem Fahrzeug, ich schicke sofort einen Wagen.«
»Und einen Krankenwagen!«
»Selbstverständlich.«
Morlar hängte ein und kehrte an den Unfallort zurück. Zehn Minuten später waren ein Patrolcar und fein Krankenwagen zur Stelle.
***
Ich hörte Schritte und wandte den Kopf. Mr. Silver kam zur Terrassentür herein. An seiner Miene erkannte ich sofort, daß er Pech gehabt hatte. Der Werwolf war ihm entwischt.
»Es wäre ja zu schön gewesen, um wahr zu sein!« knurrte der Hüne mit den Silberhaaren.
»Hast du ihn wenigstens gesehen?« fragte ich den Ex-Dämon.
»Ja, ganz kurz.«
»In menschlicher Gestalt?«
»Leider nein.«
Ich machte Charlotte Lane mit meinem Freund bekannt. Sie schaute ihn verwundert an. Immerhin hatte er silberne Haare und silberne Augenbrauen. So etwas kriegt man nicht alle Tage zu sehen. Charlotte Lane schaute den Ex-Dämon zwar an, sagte aber nichts. Ich weihte Mr. Silver in den Stand der Dinge ein. Vor dem Blackburnschen Haus hielt ein Wagen der Mordkommission. Ich ging den Polizeibeamten entgegen. Ein schwergewichtiger, rotgesichtiger Mann, etwas größer als ich, kam auf mich zu: Inspektor Nick Jackson.
Ich wußte aus der Zeitung, daß die Mordserie sein Fall war. Ein nüchterner Mann, der nichts davon wissen wollte, daß die Morde von einer reißenden Bestie verübt worden waren, denn dann hätte er den Fall möglicherweise abgeben müssen.
Wir kannten einander, und wir konnten uns nicht leiden.
»Hallo, Ballard.«
»Guten Abend, Inspektor.«
»Wann werden Sie aufhören, der Polizei dreinzupfuschen.«
»Wie Sie wissen, war ich selbst mal Polizist.«
»Ja, aber das muß schon lange her sein. Hat man Ihnen eigentlich nahegelegt, den Dienst zu quittieren?«
»Ich bin von selbst gegangen«, sagte ich, die Spitze ignorierend.
»Obwohl Sie’s in so jungen Jahren schon bis zum Inspektor gebracht hatten?«
»Ich bin eben kein Sesselkleber, der nur darauf aus ist, eine ruhige Kugel zu schieben und auf die Pensionierung zu warten.«
»Ich hoffe, Sie nehmen damit nicht Bezug auf mich, Ballard.«
»Fühlen Sie sich betroffen?« fragte ich und lächelte maliziös.
Es blitzte gefährlich in Jacksons Augen. »Irgendwann erwische ich Sie mal bei einer
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