GK453 - Wolfsmond
an. Ich besitze meine Seele nicht mehr. Dafür habe ich etwas viel Wertvolleres gekriegt: die Unsterblichkeit, und Kraft, unendlich viel Kraft. All das könntest du auch haben. Du brauchst es nur zu sagen.«
Er spinnt, dachte Rex Rhodes. Aber so ganz sicher war er sich dessen nicht. Wenn Blackburn vielleicht doch die Wahrheit sagte, sollte er seine Chance nützen. So eine Gelegenheit kam bestimmt nicht wieder. Was hatte er denn schon zu verlieren? Die Ärzte waren nicht sonderlich optimistisch, was seinen Gesundheitszustand anlangte. Sie gaben sich zwar alle Mühe, sich ihren Pessimismus nicht anmerken zu lassen, aber er wußte dennoch Bescheid.
»Was habe ich schon zu verlieren«, sagte er.
»Sehr richtig. Bei diesem Geschäft kannst du nur gewinnen.«
»Und was muß ich tun?«
»Nichts.«
»Mit wem schließe ich dieses Geschäft denn ab? Mit dir?«
James Blackburn schüttelte den Kopf. »Nicht mit mir. Ich werde dich mit Lathor bekanntmachen.«
»Lathor? Wer ist Lathor?«
»Der Mann mit dem Wolfsschwert«, antwortete Blackburn und schloß die Augen, um sich zu konzentrieren. Er sandte seine schwarzen Gedanken weit hinab in die Gefilde des Schreckens, und er wußte, daß sie den Mann mit dem Wolfsschwert erreichen würden, denn zwischen ihnen gab es seit vier Tagen eine magische Verbindung, die niemand zu trennen vermochte. Blackburn rief Lathor, den Gesandten der Hölle.
Und Lathor kam.
Über Zeiten und Räume hinweg sprang der Mann mit dem Wolfsschwert in die Welt. In jenem weißen, sterilen Raum der Intensivstation der St.-James-Klinik fing die Luft mit einemmal zu flimmern an.
Winzige Partikelchen formierten sich zu einem schimmernden Kreisel, der mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit rotierte. Rex Rhodes schaute diesem Schauspiel verblüfft zu. Im Kreiselkern bildete sich eine Gestalt, und als das Flimmern aufhörte, stand Lathor mitten im Raum.
Ein großer, schlanker Mann, Muskulös und stämmig. Seine Lenden umhüllte ein Wolfsfell, während sein Oberkörper nackt war. Imposant war das Spiel seiner harten Muskeln. Sein braunes Haar war schulterlang und umrahmte ein Gesicht von einmaliger Ausdruckskraft.
Mit beiden Händen stützte sich Lathor auf ein Schwert, dessen Klinge mit Phosphor bestrichen zu sein schien. Das Ende des kunstvoll gearbeiteten Griffs zeigte einen Wolfsschädel, dessen Maul hungrig und angriffslustig aufgerissen war.
»Das ist Lathor«, sagte James Blackburn. Es klang so, als wäre er sehr stolz auf diese Bekanntschaft. »Ich begegnete ihm vor vier Tagen zufällig auf der Straße. Er war auf der Suche nach einem Diener, und hat ihn in mir gefunden.«
Rex Rhodes konnte sich nicht genug über die reglos dastehende Erscheinung wundem. »Woher kommt er?« wollte er wissen.
Blackburn grinste. »Geradewegs aus der Hölle. Aber das braucht dich nicht zu stören. Wenn du am Leben bleiben willst, mußt du dich mit Lathor arrangieren.«
***
Der Assistenzarzt Steve Remick und sein Kollege Ben Whardley saßen im Bereitschaftsraum. Remick trank kalten Tee, während sich Whardley mit einem Kreuzworträtsel herumquälte.
»Manchmal ist es hier oben wie vernagelt«, sagte Whardley ärgerlich und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
»Soll ich dir helfen?« fragte Remick.
»Ach was«, brummte Whardley und schob das Rätsel lustlos beiseite.
»Ich weiß, wieso du dich nicht konzentrieren kannst«, sagte Remick. »Du denkst an James Blackburn und Rex Rhodes. Mir geht es genauso. Die beiden werden es wohl nicht mehr lange machen. Es ist bitter, das zu wissen und niçhts dagegen tun zu können.«
»Manchmal denke ich, warum bin ich nicht Rechtsanwalt geworden wie mein Vater«, sagte Whardley. »Wenn er mal einen Fehler macht, kriegt sein Klient höchstens ein paar Jahre mehr aufgebrummt. Mache ich einen Fehler, geht es gleich um Leben und Tod. Ob du es glaubst oder nicht, ich lebe tagtäglich mit der Angst vor solch einem Fehler. Wie soll man das bloß aushalten? Früher konnte ich nicht verstehen, wieso es unter den Ärzten so viele Trinker und Süchtige gibt. Heute kann ich das.«
»Hör mal, Ben…«
Whardley winkte mit einem matten Lächeln ab. »Keine Sorge, ich werde weder zur Flasche greifen noch beim Rauschgift Zuflucht suchen. Ich sagte lediglich, daß ich meine Kollegen heute verstehe.«
»Wann hattest du deinen letzten Urlaub?«
»Vor zwei Jahren. Eine Woche Bahamas. Und was passierte da? Es gab einen Brand in ’ner Diskothek, und ich mußte zwei Tage
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