Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glaenzende Geschaefte

Glaenzende Geschaefte

Titel: Glaenzende Geschaefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Muenk
Vom Netzwerk:
jetzt bereit war zu sagen. Was stimmte nicht andiesem »eigentlich wundervollen Menschen«? Wenn die Bemerkung, dass jemand »nicht einfach« sei, bereits beim Vorstellungsgespräch fiel, so war davon auszugehen, dass es sich bei der betreffenden Person um einen charakterlichen Risikopatienten handelte. Miranda mochte diesen Gedanken gar nicht vertiefen, und Schlick schien auch keine Reaktion darauf zu erwarten.
    Sie legte den Kopf schräg, lächelte, überlegte offenbar kurz und fragte dann: »Mögen Sie Zahlen?«
    Diese Frage war nun wirklich enttäuschend, fand Miranda, und Schlick schien zu merken, was sie dachte: »Ich frage das nur, um sicherzugehen. Man hat Ihnen gesagt, worum es hier geht?«
    »Ja, sicher. Ich nehme an, Herr Winter braucht ein wenig buchhalterische Unterstützung. Vielleicht ist er ja auch viel auf dem, nun ja, Feld. Nicht jede Führungskraft hat heute noch Sinn und Muße für Soll und Haben.« Sie bereute es in dem Moment, in dem sie es gesagt hatte, aber sie würde diesen Job sowieso nicht haben wollen.
    »Nun, mit Herrn Winter verhält es sich da ein wenig anders. Um die Zahlen kümmert er sich selbst ganz gern.« Schlick fing an, ein Fadenende an einem Blazerknopf am Ärmel zu drehen. »Die Zahlen. Ja. Ich würde sogar sagen, er braucht sie, also die Zahlen. Sie ordnen seine Welt. Man darf sie ihm auf gar keinen Fall wegnehmen. Sie sollten sie lediglich mögen, um auch ihn zu mögen.«
    Miranda versuchte, ihren Blick von Schlicks Gesicht abzuwenden, aber es gelang ihr nicht.
    Schlick fuhr fort: »Sie werden verstehen, was ich meine, wenn Sie ihn erst einmal kennengelernt haben. Glauben Sie mir, es ist viel Liebenswürdigkeit in ihm, man muss nur ein wenig danach suchen, und dabei sollte man sehr fachkompetent, sensibel, flexibel, nervenstark und auf eine äußerst selektive Art und Weise kontaktfreudig sein. Teilzeit selbstverständlich. Länger würde er es gar nicht aushalten.«
    »Er?« Miranda erhob sich, wollte gehen, doch Schlick fuhr fort: »Wissen Sie, wir hatten Bewerberinnen hier, die einfachnur ihren Job machen wollten, Erdbeergeschäft und so. Aber in diesem Fall ist das der völllig falsche Ansatz.«
    Also doch. Miranda setzte sich wieder: »Es ist mehr, nicht wahr? Hier geht es nicht nur um Erdbeeren?«
    »Nein, nicht nur. Hat man es Ihnen denn nicht gesagt?
    »Was passiert da draußen in diesen Treibhausschläuchen?«
    Schlick musterte sie lange, zögerte und sagte dann: »Erdbeeren. Wir züchten Erdbeeren. Und noch ein paar andere Dinge.«

BRILLENWECHSEL
    Acht Tage später, am Montagvormittag Punkt halb zehn betrat Löhring die Justizvollzugsanstalt durch eine schwere Stahltür. Er lief durch eine Art Schleuse, links und rechts schätzungsweise fünf Meter hohe, zementfarbene Mauern mit aufgerollten Stacheldrahtkronen auf der obersten Kante, die von unten aussahen wie gigantische Lockenwickler. Es war laut, als die Stahlhälften des Tors hinter ihm wieder aufeinandertrafen. Irgendwann auf halber Strecke ins Innere wurde er aufgefordert, stehen zu bleiben und Arme und Beine auszubreiten. Man befragte ihn nach spitzen Dingen, und er wurde dezent durchsucht. Es war mehr ein zartes Abklopfen, trotzdem konnte Löring sich des Eindrucks nicht erwehren, etwas Schlimmes getan zu haben. Mein Gott, dachte er, es sah von innen nicht weniger bedrohlich aus als von außen.
    Jetzt würde es losgehen. Ein einhundert Jahre altes Gefängnis mit über achthundert männlichen Insassen, Schwerpunkt Gewalt- und Sexualstraftaten sowie organisiertes Verbrechen, siebzig Prozent mit ehemaliger Drogen- und Alkoholabhängigkeit, viele Häftlinge mit Anschluss-Sicherungsverwahrung, einige auch Endstrafenverbüßer, ohne Bewährung, durchschnittliche Verweildauer selten unter zwei Jahren. Beachtlich. Ganz beachtlich. Natürlich wollte er da nicht rein.
    Doch bloß nicht blenden lassen, dachte Löhring. Es wurde überall nur mit Wasser gekocht, und außerdem hatte er sich selbst dafür entschieden. Er wurde von einem Beamten zum nächsten geschoben, immer weiter in den Bau. Es war schließlichnichts weiter als die Verlängerung eines verlängerten Wochenendes, man wähnte ihn im Haus seiner Familie, und er konnte jederzeit abbrechen. London und der Rest der Welt würden davon überhaupt nichts mitbekommen, außer vielleicht später durch einen rundum erneuerten Löhring, der ganzheitlich exzellent aufgestellt sein würde, sozial potent, wieder fit für die Community durch den Dienst am Menschen. Schon

Weitere Kostenlose Bücher