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Glaenzende Geschaefte

Glaenzende Geschaefte

Titel: Glaenzende Geschaefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Muenk
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das Gespräch mit der Bitte, den Rückflug noch bis auf Weiteres offen zu lassen.
    »Ging doch.« Kellermann nahm die nächste Abfahrt, hielt am Straßenrand und nahm Löhring das Handy ab.
    Es wurde beschaulicher, rein landschaftlich betrachtet, und die Leute schlenderten auf den Bürgersteigen, als sei nichts gewesen. Wie konnten sie nur? Löhring warf eine Tablette ein, ließ den Kopf ruckartig nach hinten fallen. »Wo fahren wir hin?« Augenkontakt, man musste Augenkontakt zum Täter halten in solchen Situationen, dachte Löhring. Aber da waren nur Kellermanns Hinterkopf und sein Stiernacken. Es ging nicht.
    Löhring versuchte, nach vorne auf den Beifahrersitz zu klettern, und holte sich dabei eine blutige Nase. Kellermann schlug ihm die Waffe ins Gesicht, kaum dass er das erste Bein nach vorn gestreckt hatte. Es ließ sich natürlich nicht nur schießen, sondernauch schlagen mit der Waffe. Er hätte es sich denken können. Und trotzdem, Löhring wusste nachher nicht mehr, ob es dieser körperliche Ausdruck von Geringschätzung gewesen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, oder die endgültige Erkenntnis, dass es sich hier um eine Entführung handelte, und schlimmer, dass er das vielleicht tatsächlich verdient hatte – als wären die ganzen letzten prallen Jahre nur hierauf hinausgelaufen: auf die speckige Rückbank eines Kleinbusses der örtlichen Justizvollzugsanstalt. Er würde nackt im Garderobenschrank enden – dokumentiert auf Video, das dann ins Internet wandern würde. Wie vulgär. Und alle, wirklich alle – Feinde und sogenannte Freunde – würden ihm dann etwas anhaben können. Diese Erkenntnis war an sich nicht neu, jedoch unter diesen Umständen schon recht erschütternd.
    Der Asiate war schuld. Das alles hatte er wohl Lang zu verdanken. Von wegen Seelentraining. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Fluch, primitives Überbleibsel eines unheilvollen Aberglaubens fernöstlichen Ursprungs, da gab es ja so einiges. Er hatte die Löhring-Voodoo-Puppe in Anzug und Schlips und mit Nadeln im linken Brustbereich bereits vor Augen. Wie hatte er so leichtgläubig sein können?
    Und dann kamen sie, heiß und dick, hatten sich irgendwo gelöst, bahnten sich ihren Weg nach draußen. Er kniff die Augen zusammen, aber es wurde schlimmer. Sie trafen ihn völlig unvorbereitet. Verdammt, die Augen voll, die Nase voll, Brille beschlagen – überall plötzlich einsame, uralte Tränen, die ihm die Backen hinunterliefen. Destillierte Traurigkeit. Dann kamen gepresste Laute dazu. Es war fürchterlich. Löhring kam sich vor wie besessen, offenbar bearbeitete jemand die Voodoo-Puppe gerade mit einer Wasserkanüle. Er heulte wie ein Kind, man solle ihm nichts tun. Er wolle sofort seinen Coach sprechen und das jetzt beenden. Die Landschaft draußen wurde immer beschaulicher, es torkelten schon Kühe auf den Weiden herum.
    »Nah am Wasser gebaut, was?«
    Offenbar hatte Kellermann ihn schon eine ganze Weile durchden Rückspiegel dabei beobachtet, wie er seine Verzweiflung zur Welt brachte. Löhring kam sich ziemlich unangezogen vor. Er wäre gerne ausgewichen, aber er wusste nicht, wohin. Er heulte weiter.
    Kellermanns Arm fuhr nach hinten. Zwischen seinen Fingern klemmte ein Taschentuch: »Ich bin’s so leid. Wenn gar nix mehr hilft, fangen sie immer alle an zu heulen, die große Show. Denken nur an sich, sehen nur sich, tun sich furchtbar leid. Wenn Sie nur einmal genau hingeguckt hätten, nämlich mir in die Glotzaugen, dann hätten Sie sich das hier sparen können.«
    Harndrang. Jetzt auch noch Harndrang. Nichts an Löhring war noch zu halten. Er nahm das Taschentuch, hielt es sich gegen die blutende Nase und näselte kaum hörbar: »Oh ja, seinem Gegenüber in die Augen gucken, die Sache mit den Spiegelneuronen. Wie sollte ich die denn sehen bei Ihnen, bitte schön? Sie haben mich ja auch nie angeguckt. Sie tun es selbst jetzt nicht! Was sind Sie nur für ein Mensch?«
    »Danke der Nachfrage.«
    »Mann, überlegen Sie mal: Wenn Sie das hier durchziehen, bleiben Sie nur noch länger im Knast, Sie waren doch so kurz vor der Freiheit!«
    »Ist mir egal. Befürchte sowieso, dass ich nicht freiheitstauglich bin.«
    »Wie kann man die Freiheit bloß so weit hintenanstellen?«, fragte Löhring. Doch er hätte genauso gut in einen leeren Raum sprechen können. Es kam keine Antwort. Er legte den Kopf in den Nacken, um so die Blutung zu stoppen, und rollte mit den Augen, spürte Fahrtwind auf dem noch feuchten

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