Glaenzende Geschaefte
Gesicht. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er gar keine Angst hatte, sondern nur maßlos enttäuscht war, wobei er nicht wusste, was schlimmer sein mochte. Und es brach weiter aus ihm heraus: »Oh, oh, sorry, dass ich überhaupt etwas sage. Ich vergaß, dass Sie die Selbsterkenntnis und den Fatalismus für sich gepachtet haben, nur weil Sie als Häftling nichts zu verlieren haben. Glauben Sie mir, ich geh da ganz andere, konsequentere Wege.«
»Und die wären?«
»Mein Leben ist auch nicht einfach, kann ich Ihnen sagen. Manchmal würde ich mich morgens schon mal gern mit meinem eigenen Kopfkissen ersticken.«
Kellermann blickte sich kurz zu ihm um: »Warum tun Sie’s dann nicht?«
»Haben Sie eine Ahnung, wie fest ich da zudrücken müsste?«
»Sie dürfen sich auch nicht wehren. Am besten vorher ausatmen.«
Löhring war nicht zum Scherzen zumute. Es würde sowieso bald alles aus sein, durch eine unachtsame Bewegung, von einer Sekunde auf die nächste, oder, was auch nicht sehr beruhigend war: Es ging erst einmal so weiter. Löhring versuchte sich zusammenzureißen und stattdessen an Informationen zu kommen: »Die Fahndung ist doch bestimmt schon längst raus. Warum fahren wir denn jetzt noch in diesem Bus durch die Gegend? Wo fahren wir überhaupt hin?«
»Zum Geldautomaten.« Kellermann sagte es, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.
»Ach. Brauchen Sie Geld?«, fragte Löhring. »Sie werden doch gefilmt, wenn Sie da am Automaten stehen!« Wie konnte der Mann nur so naiv sein!
Kellermann erwiderte, dass Löhring raten dürfe, wer da wohl zum Automaten gehe, schien dann aber tatsächlich ins Grübeln zu kommen. Er gab Löhring sein Handy zurück: »Sie rufen jetzt schon mal zu Hause an. Ich verlange vier Millionen. Sagen Sie Ihrer Frau, wir rufen in einer Stunde wieder an.«
Löhring lachte hysterisch: »Zu Hause? Ich habe kein Zuhause, es sei denn, Sie meinen die Heimat meiner einundfünfzig Oberhemden. Da werden Sie vielleicht das Personal, die zwei Jüngsten und unseren verhaltensgestörten Hund antreffen, aber nicht meine Frau. Mal ganz abgesehen von der Summe.« Seine Hand ging zum Festhaltegriff seitlich über ihm, als das Fahrzeug hart und scheppernd durch ein Schlagloch fuhr. »Hören Sie, Sie verstehen nicht ganz … Das ist alles komplizierter, als Sie glauben.Meine Familie ist mir, wie soll ich sagen, ein wenig abhandengekommen. Die bieten Ihnen höchstens Geld, wenn Sie mich umbringen.« Und Löhring überkam wieder ein verzweifeltes Lachen: »Wie wär’s mit Totschlag? Überlegen Sie sich das. Mit etwas Glück kriegen Sie nur fünf Jahre dafür. Und die Kohle verstecken Sie vorher irgendwo.«
Kellermann schüttelte den Kopf: »Was reden Sie da, Mann? Sie sind doch noch verheiratet, oder?«
»Sind Sie verheiratet?«, wollte Löhring wissen.
»Schnauze. Antworten.«
»Ja, was denn nun?«
»Antworten!«
»Nun, in der Regel ist ein Unternehmer kein Single.«
»Also noch verheiratet?«
»Ja, ja. Aber glauben Sie mir, manchmal denke ich, wir sind gar keine Familie, sondern ein biologisches Experiment.«
»Das ist doch alles nicht normal!« Kellermann fuchtelte wieder mit der Waffe herum.
»Normal? Tolles Wort. Das sagt der Richtige! Wer sitzt denn hier im Knast? Wer hat mich denn entführt?« Löhring hob den rechten Arm, wischte sich mit dem Sakkoärmel das Wasser aus dem Gesicht und blickte aus dem Fenster. Hätte Kellermann nicht das Thema aufgebracht, wären ihm seine Frau und seine Kinder noch nicht einmal in den Sinn gekommen. Doch jetzt hatte er das ganze private Desaster plötzlich vor Augen. »Es läuft schon länger schlecht mit meiner Frau. Ich fürchte, das ist alles meine Schuld. Das ist jetzt wie bei meinen Eltern, scheint sich alles zu wiederholen.« Es lief ab wie ein Film vor seinem geistigen Auge, in Sekundenbruchteilen, vielleicht weil er nicht mehr lange zu leben hatte.
Ja, seine Frau. Sie war Französin. Wahrscheinlich hatte sie ihn deswegen nie so recht verstanden, genau genommen war ihre Ehe die Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges mit anderen Mitteln gewesen. Und irgendwann war seine Frau ihm endgültig abhandengekommen, hatte sich einfach über die Jahre eingerichtetim Geld, in dieser sanften Umhüllung der Annehmlichkeiten, die es bot, und war dahinter verschwunden. Denn im Gegensatz zu ihm hatte sie Zeit, es auszugeben. Aber sie tat es nicht etwa auf chaotische, fröhliche Weise, sondern mit einer furchteinflößenden, blutleeren
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