Glaenzende Geschaefte
still auch, bis auf das Geräusch des von den Blättern tropfenden Wassers.
»Das Labor zeige ich Ihnen später. Hier«, sagte Winter und hob eines der Blätter von unten auf seine Handfläche. »Anfangs hielt ich den Chrysina aurigans mit seinem goldenen Panzer für nichts weiter als einen eitlen Fatzken unter den Käfern. Wir müssen die Evolution nämlich stärker unter dem Gesichtspunkt sehen, dass sich all das durchsetzen kann, was keinen tödlichen Nachteil bringt, statt immer und überall nach biologischen Überlebensvorteilen und Plausibilität zu suchen.«
Miranda starrte immer noch auf das nasse Blatt und brauchteeinen Moment, um Winter gedanklich folgen zu können. Das mit der fehlenden Plausibilität bei eitlen Fatzken war grundsätzlich ein interessanter Ansatz. Hier konnte wohl ausnahmsweise das Tier vom Menschen lernen.
Winter fuhr fort: »Es gibt Tiefseegarnelen, die sind knallrot – in einer Region, in der es kein Licht gibt, wo man sich nicht tarnen muss, wo man rein mit seinem Äußeren keine Weibchen anlocken kann, es sei denn, die wären mit Taschenlampen unterwegs. Die rote Farbe ist dort nichts weiter als eine schöne Zutat, eine Extravaganz, die das Überleben nicht rettet, ihm aber auch nicht im Wege steht. Aber hier ist das anders. Schauen Sie genau hin. Es gibt einen Grund für den Glanz.«
Tatsächlich saßen auf dem Blatt zwei goldfarbene Skarabäen, die man erst auf den zweiten Blick wahrnahm. Und dann pustete Winter kräftig über das Blatt, und die Käfer krabbelten, wohl in Erwartung eines drohenden Hurrikans, Richtung Blattunterseite. Die goldene und silberne Farbe der Skarabäen hatte also sehr wohl einen Sinn: Sie reflektierte das Sonnenlicht, wie es die Wassertropfen auf den Blättern taten. Die Ähnlichkeit der Käfer mit den sie umgebenden Tropfen war enorm – die geniale Tarnung vor Fressfeinden im Regenwald.
Winter schüttelte das Blatt, und die Skarabäen plumpsten zu Boden. »Sie können fliegen, sind dabei aber sehr schwerfällig. Sie bringen es höchstens auf achtzig Flügelschläge in der Sekunde. Zu wenig für meinen Geschmack. Rein morphologisch gesehen, könnten sie mehr schaffen, aber sie leben hauptsächlich unterirdisch, brauchen es also nicht.« Winter ging weiter.
Miranda fiel auf, dass sein Gang ein wenig eigenwillig war. Der linke Unterschenkel machte jedes Mal, wenn er Schwung für den nächsten Schritt holte, einen kleinen Schlenker nach außen. Wie putzig, dachte sie, daran würde man Winter selbst von Weitem überall erkennen. Nichts mit Tarnung.
»Alles Mistkäfer, auch die Skarabäen sind Mistkäfer, so schillernd sie auch aussehen. Sie ernähren sich von Kot und abgestorbenen Pflanzenresten, und für die Brutpflege rollen sie denDung zu Kugeln, die sie vor sich herschubsen. Sie können gar nicht genug davon kriegen.« Winter stapfte weiter und fuhr fort: »Die alten Ägypter haben diese Mistkugel golden abgebildet, da sie die über den Horizont gezogene Sonnenscheibe für sie symbolisierte.«
Miranda hatte Mühe, barfuß auf dem schmalen Weg hinter ihm herzukommen. Sonnenscheibe hin oder her, die Vorstellung, dass um sie herum gerade Tausende von sechsbeinigen Käfern Scheißkugeln vor sich herrollten, gab ihr kein gutes Gefühl. Sie war gedanklich eigentlich immer noch bei der Tarnung, denn daran war etwas, das ihr gefiel: Sie hatte immer gedacht, selbst mit einer Art Tarnkappe durchs Leben zu gehen, nicht gesehen und nicht gehört zu werden, und je zappeliger und eitler ihr Umfeld wurde, desto unscheinbarer wurde sie. Und jetzt zeigte ihr dieser Mann, dass die Unscheinbarkeit auch ihre Vorteile haben konnte, zumindest bei den Mistkäfern, dass es kein Schaden sei, quasi unsichtbar zu sein, ja dass das nicht als Laune der Natur, sondern mitunter als Meisterstück der Evolution betrachtet werden konnte. Das war eine wirklich gute Nachricht. Miranda fragte, ob sie sich irgendwo die Hände waschen könne. Und vielleicht auch die Füße.
DAS BEGRÄBNIS
Löhring und Kellermann standen immer noch unschlüssig vor Keschs Leiche. Pläne schmieden war eine Sache, tote Arme und Beine anfassen eine andere.
»Es muss jetzt dringend und schnell gehandelt werden. Was wollen wir unternehmen?«, fragte Löhring, in der Hoffnung, Kellermann möge vielleicht etwas mehr Erfahrung mit operativen Situationen dieser Art haben und als Erster anpacken.
»Unternehmen? Das fragen Sie mich? Sie sind doch hier der Unternehmer, oder?« Kellermann nahm mit seiner
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