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Glaenzende Geschaefte

Glaenzende Geschaefte

Titel: Glaenzende Geschaefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Muenk
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Seitenfenster versenkte sich surrend, und der Fahrwind kühlte ein wenig. Schmutzpartikel hin oder her. Löhring holte tief Luft.
    Es war ein sonderbares Aufeinandertreffen, als sie den Besprechungsraum der Bank betrat: Sie war schmal, hochgewachsen und wirkte geradezu mädchenhaft scheu, obwohl sie um die sechzig sein musste. Ihre hellblondierten, schulterlangen Haare wölbten sich in großzügigen Föhnwellen über Ohren und Stirn. In den Ohrläppchen steckten dezente kleine Perlen, doch Halskette und Armbanduhr funkelten verdächtig hochwertig. Nicht gerade der Blechkuchentyp, fand Löhring.
    Nach circa vier Sekunden stand für ihn fest: Diese Frau war schwierig. Er hatte sich angewöhnt, seine Gesprächspartner binnen Sekunden und fast unbemerkt zu studieren, ein intuitives Gefühl für sie zu entwickeln. Es war durchaus eine Art Empathie gewesen, die ihn dahin gebracht hatte, wo er jetzt war. Mittlerweileaber hatte sich die Empathie zu purem Instinkt weiterentwickelt, der es ihm erlaubte, Empfindlichkeiten und Schwachstellen im System jederzeit auszuloten. In solchen Momenten, wenn er sich auf sein Gegenüber einstellte, wirkte er immer noch wie ein echt netter Typ. Und genau das war unerlässlich fürs Geschäft.
    Etta von Dangast hatte ohne Zweifel die Ausstrahlung einer in die Jahre gekommenen Nachrichtensprecherin, die mehr schlechte als gute Schlagzeilen hinter sich hatte. Irgendwann war die Mundpartie bei den schlechten Nachrichten stehen geblieben. Er witterte etwas Depressives an ihr oder zumindest eine gute Portion Schwermut, die sich auf ihre Augen und auf ihre Stimme gelegt hatte, und wenn man ihr nahe kam, war es, als ob die Goldknöpfe am Sakko beschlugen. Sie gehörte zu der Klientel, von der sowohl die Bank als auch Kesch stets profitiert hatten: vom Geld überforderte Menschen, die eigentlich nichts mehr damit zu tun haben wollten, aber dennoch wünschten, dass es mehr werde. Menschen, denen man zeigen musste, wo es langgeht.
    Löhring behielt parallel Kellermann im Auge, der jetzt so tun musste, als kenne er sie – genauer gesagt, als sei er vertraut mit jeder Nachkommastelle ihres Vermögens, mit jeder Immobilie bis hin zum letzen Kopfkissen, mit jedem Schmuckstück, jedem zahnchirurgischen Brückenkonstrukt. Kein einfaches Unterfangen, selbst wenn er den Mund nicht aufmachen musste. Löhring blickte langsam wieder zu ihr hinüber. Sie stand so verhuscht im Raum auf ihren dünnen Beinen, dass man sie eigentlich erst einmal in den Arm nehmen und sanft hin und her wiegen wollte. So etwas hatte Kesch stets gut gekonnt. Ja, vielleicht war sie tatsächlich eher Kellermanns Typ.
    Und tatsächlich, als ihr Blick zu Kellermann hinüberging, kam Leben in sie: Die Augen weiteten sich, auch der Mund, aber vielmehr vor Schreck, der ihr jetzt ganz offensichtlich in alle Glieder fuhr, so sehr sie auch um Fassung bemüht war. Ein leises »Nein!« ging ihr über die Lippen, und sie wich einen Schritt zurück. Nein, Kellermann war nicht ihr Typ.
    Löhring und Mollow wechselten Blicke. Etta von Dangast schien geradezu körperlich Angst vor Kellermann zu haben. Ihr Verhalten war sehr authentisch und zugleich sehr beunruhigend. Sicher, Kellermanns rustikale Erscheinung war nicht jedermanns Sache, genauso wenig wie die des echten Kesch es gewesen war, aber eine derartige Wirkung auf andere wünschte man nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Es gab nur eine Erklärung: Etta von Dangast wusste zweifelsfrei den echten vom unechten Kesch zu unterscheiden und war dabei, das Spiel zu durchschauen, wie Mollow es auch durchschaut hatte. Das war sehr, sehr erstaunlich bei dieser Frau, fand Löhring. Aber es war immerhin einen Versuch wert gewesen.
    Mollow dagegen bemühte sich, die Fasson zu wahren und zwischenmenschlich zu vermitteln: »Frau von Dangast, wie schön, dass Sie den Termin wahrnehmen konnten! Ich denke, wir werden heute eine komplett neue Anlagestruktur für Sie entwickeln können. Nicht wahr, Herr Kesch?«
    Kellermann ging nun so langsam auf die Frau zu, wie man sich einem Reh auf der Lichtung nähert, und sagte: »Wie geht es Ihnen?«
    »Das interessiert Sie doch gar nicht!« Sie wirkte wie gehäutet, starrte ihn immer noch ungläubig an, schien ihn von allen Seiten in Augenschein zu nehmen.
    Sie standen in mittlerer Entfernung einander gegenüber, wie schockgefrostet und völlig überfordert. Beide versuchten, sich erst einmal selbst unter Kontrolle zu bekommen, und warteten dabei die Reaktion des anderen

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